Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 05/01

15. Februar 2001

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-99/98

Republik Österreich / Kommission der Europäischen Gemeinschaften

DIE KOMMISSION MUSS DIE VORPRÜFUNG STAATLICHER BEIHILFEN BINNEN EINER FRIST VON ZWEI MONATEN DURCHFÜHREN


Die Entscheidung der Kommission über die Einleitung eines förmlichen Prüfungsverfahrens betreffend die Beihilfe der Republik Österreich, des Landes Kärnten und der Stadt Villach zugunsten der Firma Siemens wird für nichtig erklärt

Das Gemeinschaftsrecht sieht eine präventive Kontrolle staatlicher Beihilfen vor. Neue Beihilfen müssen der Kommission bekanntgegeben werden, damit sie nach einer Vorprüfungsphase gegebenenfalls ein kontradiktorisches Prüfungsverfahren einleiten und dem betreffenden Mitgliedstaat verbieten kann, die beabsichtigten Maßnahmen durchzuführen, bevor sie eine abschließende Entscheidung erlassen hat.

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Vorprüfungsphase dazu diene, der Kommission eine erste Meinungsbildung über die teilweise oder völlige Vereinbarkeit der angezeigten Beihilfevorhaben mit dem Vertrag zu ermöglichen. Da die Mitgliedstaaten ein Interesse daran hätten, rasch Klarheit zu erlangen, müsse die Vorprüfungsphase innerhalb einer angemessenen Frist von höchstens zwei Monaten abgeschlossen werden, nach deren Ablauf der Mitgliedstaat das Beihilfevorhaben durchführen könne.

Nach Ende dieser Zweimonatsfrist richte sich die Prüfung der geplanten Beihilfemaßnahme nach den bestehenden Beihilferegelungen, deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht fortlaufend in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten überprüft werde.

Am 9. Februar 1998 erließ die Kommission eine Entscheidung über die Einleitung eines förmlichen Prüfungsverfahrens betreffend die staatliche Beihilfe zugunsten der Siemens Bauelemente OHG, Villach (Österreich). Dem Erlass dieser Entscheidung ging ein Schriftwechsel mit der Republik Österreich voraus, der sich vom 21. Juni 1996 bis 10. November 1997 hinzog.

Die Gesamtkosten des angemeldeten Beihilfevorhabens, das vor allem der Forschung und Entwicklung dienen sollte, betrugen 4 563 700 000 ATS, die in Höhe von 371 Millionen ATS durch eine staatliche Beihilfe gedeckt waren, die zum Teil von den Bundesbehörden und zum Teil vom Land Kärnten und der Stadt Villach gewährt wurde.

Die Republik Österreich ersucht den Gerichtshof, diese Entscheidung für nichtig zu erklären.

Sie vertritt die Auffassung, die Kommission sei nach Erhalt der erteilten Auskünfte spätestens am 10. September 1997 ordnungsgemäß vom betreffenden Vorhaben unterrichtet gewesen. Nach Ablauf der Zweimonatsfrist sei die Republik Österreich am 20. November 1997 berechtigt gewesen, der Kommission die beabsichtigte Auszahlung der Beihilfen anzuzeigen.

Der Gerichtshof führt zunächst aus, die Republik Österreich habe in der Anmeldung klar angegeben, dass die gänzliche oder teilweise Genehmigung durch die EU-Behörden eine Voraussetzung für die Förderungszusage sei. Sie habe somit die Modalitäten der Prüfung der staatlichen Beihilfevorhaben durch die Gemeinschaftsbehörden nicht missachtet.

Der Gerichtshof prüft sodann, wann die Auskünfte, die die Republik Österreich der Kommission erteilt hat, so vollständig waren, dass die Zweimonatsfrist zu laufen begann.

Er führt aus, eine Anmeldung sei als vollständig anzusehen, wenn sie die Informationen enthalte, die die Kommission benötige, um sich eine erste Meinung über die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem EG-Vertrag zu bilden. Der Gerichtshof hat aufgrund der Prüfung der Schreiben der Republik Österreich die Überzeugung gewonnen, dass die Zweimonatsfrist spätestens am 24. März 1997 zu laufen begonnen hat.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die in einem seiner früheren Urteile genannte Zweimonatsfrist einem Zustand der Rechtsunsicherheit vorbeugen solle, der dem Zweck der Vorprüfungsphase bei staatlichen Beihilfen zuwiderlaufen würde. Die Republik Österreich habe sich somit auf diese Frist berufen können.

Abschließend bemerkt der Gerichtshof, dass ein Beihilfevorhaben nach seiner Anmeldung zu einer bestehenden Beihilfe werde, wenn der Mitgliedstaat der Kommission die Durchführung des Beihilfevorhabens anzeige und wenn die Kommission nicht binnen zwei Monaten nach der vollständigen Anmeldung der Beihilfe das kontradiktorische Prüfungsverfahren einleite.

Folglich verfüge die Kommission nach dem Ablauf dieser Frist und nach der Anzeige der Durchführung des angemeldeten Beihilfevorhabens nicht über ein Widerspruchsrecht, das nur darauf hinauslaufen würde, der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverfahrensregelung eine neue Etappe hinzuzufügen.

Der Gerichtshof hatte bereits 1973 im Urteil Lorenz entschieden, dass die Kommission bei der Durchführung ihrer Vorprüfung eine angemessene Frist von höchstens zwei Monaten einhalten müsse.

Diese Frist sei aufgrund der späteren Rechtsprechung des Gerichtshofes zu einer zwingenden Frist geworden.

Aus diesen Gründen erklärt der Gerichtshof die Entscheidung der Kommission für nichtig.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument liegt in deutscher, englischer und französischer Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts des Urteils konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int

Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou, Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.