Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 07/01

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-274/99 P

Connolly / Kommission

DAS VERHALTEN DES RECHTSMITTELFÜHRERS GEGENÜBER SEINEM DIENSTHERRN FÜHRTE UNVERMEIDLICH ZU EINEM BRUCH DES WECHSELSEITIGEN VERTRAUENS UND DER AUFLÖSUNG DER ARBEITSBEZIEHUNG


Das den Gemeinschaftsbeamten selbstverständlich zustehende Grundrecht des Einzelnen auf freie Meinungsäußerung findet seine richterlicher Kontrolle unterliegenden Grenzen in den Pflichten und der Verantwortung, die die Beamten bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zu beachten haben.

Der Rechtsmittelführer, ein hoher Gemeinschaftsbeamter, der ein Referat der Direktion für Währungsangelegenheiten der Kommission leitete, veröffentlichte während eines Urlaubs "aus persönlichen Gründen", der ihm im Juni 1995 gewährt wurde, ein Buch mit dem Titel "The rotten heart of Europe. The dirty war for Europe's money".

Nachdem er im Oktober 1995 seinen Dienst bei der Kommission wieder aufgenommen hatte, wurde gegen ihn ein Disziplinarverfahren wegen Verletzung der Verpflichtungen aus dem Statut des öffentlichen Dienstes der Gemeinschaft eingeleitet. Ihm wurde vorgeworfen, er habe sein Buch veröffentlicht, ohne dafür zuvor die Zustimmung beantragt zu haben; der Inhalt des Buches schade der Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion, zu der er durch seine Arbeit habe beitragen müssen, sowie dem Ansehen und dem Ruf der Kommission. Sein gesamtes Verhalten habe ferner das Ansehen seines Amtes beeinträchtigt.

Nach der Stellungnahme des Disziplinarrats wurde der Rechtsführer schließlich (ohne Aberkennung seines Ruhegehaltsanspruchs) am 16. Januar 1996 aus dem Dienst entfernt.

Er erhob 1996 Klage beim Gericht erster Instanz auf Aufhebung der Stellungnahme des Disziplinarrats und der Entscheidung über seine Entfernung aus dem Dienst.

Die Klage wurde mit Urteil des Gerichts erster Instanz vom 19. Mai 1999 abgewiesen.

Der Rechtsmittelführer legte am 20. Juli 1999 beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Gerichts ein.

Der Gerichtshof weist heute dieses Rechtsmittel unter Bestätigung des Urteils des Gerichts erster Instanz zurück.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die Grundrechte, zu denen das Recht auf freie Meinungsäußerung gehöre, zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehörten, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern habe. Er lasse sich dabei von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten, aber auch von völkerrechtlichen Verträgen leiten. Der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten komme hierbei besondere Bedeutung zu (vgl. Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union).

Auch den Beamten und Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften stehe das Recht auf freie Meinungsäußerung zu, und zwar auch auf den Gebieten, die von der Tätigkeit der Organe der Gemeinschaft erfasst werden.

Die auch in einer demokratischen Gesellschaft notwendigen Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, auf die der Gerichtshof unmittelbar Bezug nimmt, seien eng auszulegen.

Der Gerichtshof weist im Übrigen darauf hin, dass es in einer demokratischen Gesellschaft legitim sei, Beamte wegen ihrer Stellung Verpflichtungen zu unterwerfen, die hauptsächlich dazu bestimmt seien, das Vertrauensverhältnis aufrechtzuerhalten, das zwischen dem Gemeinschaftsorgan und seinen Bediensteten bestehen müsse und ohne dass es dem Organ erschwert oder unmöglich gemacht würde, die ihm übertragenen Aufgaben in Zusammenarbeit mit dem Beamten zu erfüllen.

Unter diesem Gesichtspunkt gehöre das Erfordernis, eine Zustimmung für die Veröffentlichung von Texten einzuholen, die sich auf die Tätigkeit der Gemeinschaften bezögen, zum Schutz der Rechte der Organe der Gemeinschaften.

Der Schutz der Rechte der Gemeinschaftsorgane, die mit den im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben im Dienste der Bürger betraut seien, gehöre zu den Gründen, die im Einklang mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Beschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung rechtfertigen könnten.

Der Gerichtshof hebt jedoch hervor, dass die Zustimmung zu einer Veröffentlichung nur ausnahmsweise versagt werden könne, wenn die Veröffentlichung geeignet sei, den Interessen der Gemeinschaften einen schweren Schaden zuzufügen, und dass eine Entscheidung, mit der eine Zustimmung versagt werde, mit einem Rechtsbehelf anfechtbar sei.

Der Gemeinschaftsrichter müsse ein angemessenes Gleichgewicht sicherstellen zwischen dem Grundrecht des Einzelnen auf freie Meinungsäußerung und dem berechtigten Interesse des Gemeinschaftsorgans, dafür zu sorgen, dass sein öffentlicher Dienst unter Beachtung seiner Pflichten und seiner Verantwortung arbeite.

Der Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass der Rechtsmittelführer das zwischen ihm und seinem Dienstherrn bestehende Vertrauensverhältnis dadurch zerstört habe, dass er, ohne die vom Statut vorgeschriebene vorherige Zustimmung zur Veröffentlichung zu beantragen, einen kritischen und bestimmte Mitglieder der Kommission sogar beleidigenden Text veröffentlicht und die grundlegenden Leitlinien der Politik der Gemeinschaft, zu deren Umsetzung loyal beizutragen er gerade beauftragt gewesen sei, veröffentlicht habe.

Das Gericht erster Instanz sei zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Rechtsmittelführer durch die Entscheidung über seine Entfernung aus dem Dienst nicht in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt worden sei.

Daher weist der Gerichtshof das Vorbringen des Rechtsmittelführers zurück und bestätigt das Urteil des Gerichts erster Instanz.

N.B:

Ebenfalls heute weist der Gerichtshof das Rechtsmittel (C-273/99 P) gegen das Urteil des Gerichts zurück, mit dem die Nichtigkeitsklage des Rechtsmittelführers gegen die Entscheidung über seine vorläufige Dienstenthebung abgewiesen worden war.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument liegt in deutscher, englischer, italienischer und französischer Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts des Urteils konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int

Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou, Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.