Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 09/01

 

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-215/99

Friedrich Jauch gegen Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter

 DIE ZAHLUNG DES IM ÖSTERREICHISCHEN RECHT VORGESEHENEN PFLEGEGELDS FÜR PFLEGEBEDÜRFTIGE PERSONEN KANN NICHT VOM WOHNSITZ DER BEGÜNSTIGTEN IN ÖSTERREICH ABHÄNGIG GEMACHT WERDEN


Nach Ansicht des Gerichshofes ist das Pflegegeld keine Sonderleistung und nicht beitragsunabhängig. Seine Zahlung kann daher nicht vom Wohnsitz abhängen.

Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und war immer in Lindau, einer deutschen Stadt in der Nähe der Grenze zu Österreich, wohnhaft.

Von Mai 1941 bis Juni 1958 in dieser Zeit war er pflichtversichert und von Juli 1958 bis November 1981 in dieser Zeit war er freiwillig versichert war er in Österreich beschäftigt. Seit dem 1. Mai 1995 bezieht er eine Pension von der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter.

Vom 1. September 1996 bis zum 31. August 1998 bezog er Pflegegeld von der deutschen Allgemeinen Ortskrankenkasse. Diese stellte die Zahlungen 1998 ein, da sie auf ein Urteil des Gerichtshofes hin die Ansicht vertrat, das Pflegegeld ähnele einer Geldleistung bei Krankheit, die als solche vom österreichischen System gezahlt werden müsse.

Am 7. September 1998 lehnten auch die zuständigen österreichischen Leistungsträger einen Anspruch des Klägers auf eine Leistung im Zusammenhang mit seiner Pflegebedürftigkeit ab, und zwar mit der Begründung, das Pflegegeld für pflegebedürftige Personen, das ihre Möglichkeit, ein selbstbestimmtes und an ihren Bedürfnissen orientiertes Leben zu führen, verbessern solle, könne nach dem seit 1993 geltenden österreichischen Recht u. a. deshalb, weil es durch den Bundeshaushalt finanziert werde, nur an Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich gezahlt werden.

Das mit dem Rechtsstreit befasste österreichische Gericht (Landesgericht Feldkirch) fragt den Gerichthof nach der Vereinbarkeit der betreffenden österreichischen sozialrechtlichen Vorschriften mit der Gemeinschaftsregelung zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- oder abwandern.

Der Zweck dieser Regelung besteht in der Herstellung größtmöglicher Freizügigkeit der Wanderarbeitnehmer. Ihre Anwendung muss es daher den Arbeitnehmern, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, ermöglichen, die Vergünstigungen der sozialen Sicherheit, die ihnen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats sichern, nicht zu verlieren, insbesondere wenn diese Vergünstigungen die Gegenleistung der von diesen Arbeitnehmern gezahlten Beiträge darstellen.

Die Gemeinschaftsregelung sieht Ausnahmen von diesem Grundsatz vor. Der Gemeinschaftsgesetzgeber kann nämlich Vorschriften erlassen, die Ausnahmen vom Grundsatz der Exportierbarkeit von Leistungen der sozialen Sicherheit vorsehen. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass diese Ausnahmen eng auszulegen seien. Sie seien nur auf Leistungen anwendbar, die sowohl Sonderleistungen als auchbeitragsunabhängig seien.

Der Gerichthof prüft daher zunächst, ob es sich bei dem Pflegegeld um eine Sonderleistung handelt. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass diese Sozialleistung aufgrund der Umstände ihrer Gewährung und ihrer Finanzierungsweise einer Leistung bei Krankheit im Sinne der Gemeinschaftsregelung ähnele. Es werde nur Beziehern einer Rente aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit gewährt. Es erfülle somit nicht diese erste Voraussetzung.

In einem zweiten Schritt prüft der Gerichtshof, ob diese Leistung beitragsunabhängig ist. Er weist insoweit darauf hin, dass es dem Gesetzgeber eines Mitgliedstaats nicht verboten sei, unterschiedliche Systeme der sozialen Sicherheit für verschiedene soziale oder berufliche Gruppen zu schaffen, und dass nationale Rechtsvorschriften die Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit in der Weise gestalten könnten, dass sie anders als andere Leistungen bei Krankheit finanziert werde. Nach Ansicht des Gerichtshofes wurde die Finanzierung des Pflegegeldes jedoch nur durch eine Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge und eine Kürzung der Beteiligung des Staates an der Finanzierung der Krankenversicherungsleistungen ermöglicht. Somit sei sie beitragsabhängig.

Der Gerichtshof vertritt die Ansicht, das in der österreichischen Regelung vorgesehene Pflegegeld erfülle daher nicht die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Gemeinschaftsgrundsatz der Exportierbarkeit von Leistungen der sozialen Sicherheit. Es könne daher nicht vom Wohnsitz abhängig gemacht werden.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument liegt in französischer und deutscher Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts des Urteils konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int.

Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou, Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.