In einem Strafverfahren wegen einer Verletzung der Straßenverkehrsordnung in Italien wurden
dem Angeklagten Arduino die Rechtsanwaltskosten des Gegners auferlegt. Das mit der Strafsache
befasste Gericht legte bei der Festsetzung dieser Kosten nicht die Sätze zugrunde, die sich aus der
in Italien für die Leistungen von Rechtsanwälten geltenden Gebührenordnung ergaben. Aus
diesem Grund hob die italienische Corte di cassazione das Urteil in diesem Punkt auf und verwies
die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurück.
Da die Rechtsnatur dieser Gebührenordnung von den italienischen Gerichten unterschiedlich
beurteilt wird, hat die Pretura Pinerolo dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die
Frage vorgelegt, ob die Gebührenordnung für Rechtsanwälte mit dem Wettbewerbsrecht der
Gemeinschaft vereinbar ist.
Die Gebührensätze für Rechtsanwälte werden in der Praxis vom Nationalen Rat der Rechtsanwälte
(CNF) vorgeschlagen und vom Justizministerium genehmigt (Ministerialdekret).
Generalanwalt Léger stellt heute seine Schlussanträge.
Der Generalanwalt führt aus, die Rechtsanwälte seien in Italien mit Gewinnerzielungsabsicht auf
dem Markt für juristische Dienstleistungen tätig; sie übten daher eine wirtschaftliche Tätigkeit
im Sinne des EG-Vertrags aus. Die italienischen Rechtsanwälte seien daher als Unternehmen
anzusehen und unterlägen als solche dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft.
Der Generalanwalt stuft den CNF als Unternehmensvereinigung ein. Die Einrichtung bestehe
ausschließlich aus Rechtsanwälten und sei bei der Festsetzung der Gebühren nicht gesetzlich
verpflichtet, ihre Entscheidungen im Allgemeininteresse zu treffen. Ihre Entscheidungen stellten
daher - insbesondere, wenn damit den staatlichen Behörden Gebührenordnungen vorgeschlagen
würden - Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen im Sinne des Wettbewerbsrechts der
Gemeinschaft dar.
Der Vorschlag des CNF für eine Gebührenordnung sei jedoch lediglich ein vorbereitender Akt
im italienischen Gesetzgebungsverfahren, der nur konsultative Bedeutung habe. Die Entscheidung
als solche verstoße daher ebenso wenig wie ihre Übermittlung an die italienischen Behörden gegen
das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft. Mit diesen Handlungen werde lediglich die natürlichen
oder juristischen Personen eingeräumte Möglichkeit genutzt, sich für Eingaben an die
Regierung oder an die Gesetzgebungsorgane zu organisieren.
Der Generalanwalt prüft jedoch, ob die Behörden durch den Erlass des Ministerialdekrets zur
Genehmigung der Gebührenordnung die Auswirkungen des Beschlusses der
Unternehmensvereinigung verstärkt haben.
Dabei hält er es für möglich, dass der Wettbewerb durch das Ministerialdekret spürbar
beschränkt werde, auch wenn das dem staatlichen Eingriff zugrunde liegende Verhalten des CNF
als solches nicht gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft verstoße. In diesem Fall müsse
der Mitgliedstaat sein Vorgehen anhand des Gemeinschaftsrechts rechtfertigen. Er könne
aus berechtigten Gründen veranlasst sein, ein Kartell in seinen Auswirkungen zu verstärken.
Nach Auffassung des Generalanwalts nimmt das Ministerialdekret den Verbrauchern die
Möglichkeit, die betreffenden Waren oder Dienstleistungen zum günstigsten Preis zu erhalten; die
Entscheidung des italienischen Staates beschränke daher den Wettbewerb.
Im Anschluss daran untersucht der Generalanwalt, ob die Wettbewerbsbeschränkung
gerechtfertigt ist. Dabei sei zu prüfen,
- ob die staatlichen Behörden eine wirksame Inhaltskontrolle der Entscheidung des CNF
durchführten,
- ob die durch Gesetz oder Verordnung getroffene Maßnahme ein im Allgemeininteresse
liegendes Ziel verfolge, und
- ob die Maßnahme in Anbetracht des mit ihr verfolgten Zieles verhältnismäßig sei.
Es sei Sache des Gerichts in Pinerolo, festzustellen, ob diese drei Bedingungen erfüllt seien.
N. B.: Generalanwalt Léger stellt heute auch seine Schlussanträge in der Rechtssache C-309/99
(Wouters u. a.), bei der es um die Vereinbarkeit eines Verbots gemischter Sozietäten von
Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern mit dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaften geht.
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niederländischer und spanischer Sprache vor.
Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab
ungefähr 15.00 Uhr unser Homepage im Internet www.curia.eu.int
Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou |