1995 wurde ein in Italien zugelassener Lieferwagen, der der italienischen Gesellschaft des Klägers
gehört, im Hafen von Heraklion kontrolliert. Dieser Lieferwagen wurde in der Folge als
Schmuggelware zusammen mit vier anderen in Italien zugelassenen Fahrzeugen, die derselben
Gesellschaft gehören, beschlagnahmt.
Die Zollverwaltung war der Auffassung, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Wohnsitz in
Griechenland habe, und setzte daraufhin gegen ihn folgende Sanktionen fest:
- eine erhöhte Abgabe in Höhe von 72 216 960 GRD wegen vorsätzlicher Nichtzahlung
der geschuldeten Abgaben;
- eine Geldbuße in Höhe von 100 000 GRD (für jedes der drei Fahrzeuge) wegen
unterlassener Anmeldung beim Eintritt ins griechische Hoheitsgebiet;
- eine Geldbuße in Höhe von insgesamt 11 000 000 GRD wegen Besitzes und Benutzung
der Fahrzeuge ohne Anspruch auf eine vorübergehende Abgabenbefreiung.
Das Verwaltungsgericht Heraklion, das der Kläger mit dem Antrag angerufen hat, den Bescheid
der Zollverwaltung aufzuheben, hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Fragen
nach der Auslegung des Begriffs des "gewöhnlichen Wohnsitzes", wenn eine Person sowohl
persönliche als auch berufliche Bindungen in zwei Mitgliedstaaten hat, sowie nach der
Vereinbarkeit der gesamten nach griechischem Recht vorgesehenen Sanktionen mit dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Der Gerichtshof hat die Richtlinie des Rates über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft
bei vorübergehender Einfuhr bestimmter Verkehrsmittel auszulegen. Nach dieser Richtlinie sind
Personenfahrzeuge, die vorübergehend (für einen Höchstzeitraum von 6 Monaten pro Jahr) zur
privaten Nutzung eingeführt werden, von Abgaben befreit, sofern die Person, die das Fahrzeug
einführt, ihren gewöhnlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat.
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass das Ziel der Richtlinie darin besteht, die Ausübung der
Freizügigkeit der gebietsansässigen Personen innerhalb der Gemeinschaft zu fördern.
Der Ort des gewöhnlichen Wohnsitzes
Die Richtlinie sieht einen Fall wie denjenigen des Klägers, in dem sowohl persönliche als auch
berufliche Bindungen in zwei Mitgliedstaaten bestehen, nicht ausdrücklich vor. Sie definiert als
"gewöhnlichen Wohnsitz" den Ort, an dem eine Person gewöhnlich, d. h. während mindestens
185 Tagen im Kalenderjahr, wegen persönlicher und beruflicher Bindungen wohnt. Dies schließt
jedoch nicht aus, dass dieselbe Person während des restlichen Kalenderjahres ebenfalls wegen
persönlicher und beruflicher Bindungen an einem anderen Ort wohnt.
Verfügt eine Person über persönliche und berufliche Bindungen in zwei Mitgliedstaaten, so wird
der Ort ihres gewöhnlichen Wohnsitzes auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller
erheblichen Tatsachen bestimmt und entspricht dem Ort, an dem sich der ständige
Mittelpunkt ihrer Interessen befindet. Man kann sich somit auf die körperliche Anwesenheit
der Person und ihrer Familienangehörigen, die Einrichtung einer Wohnung, den Ort des
tatsächlichen Schulbesuchs der Kinder, den Ort der Ausübung der beruflichen Tätigkeiten, den
Ort, an dem die Vermögensinteressen liegen, und den Ort, an dem verwaltungsmäßige
Beziehungen zu den staatlichen Stellen bestehen, stützen. Lässt diese Gesamtwürdigung eine
solche Ortsbestimmung nicht zu, so ist den persönlichen Bindungen der Vorrang
einzuräumen.
Die festgesetzten Abgaben und Geldbußen
Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass eine im Rahmen der Regelung über die
vorübergehende Einfuhr verhängte Sanktion nur dann im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht
steht, wenn die Abgaben, die die Berechnungsgrundlage für diese Sanktion darstellen,
ihrerseits dem Gemeinschaftsrecht entsprechen. Das vorlegende Gericht hat zu prüfen, ob dies
der Fall ist, und zwar insbesondere anhand des Urteils Kommission/Griechenland von 19971.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Der Gerichtshof stellt schließlich fest, dass die Mitgliedstaaten mangels einer gemeinschaftlichen
Harmonisierung der Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Sanktionen, die in Fällen wie
demjenigen des Klägers anwendbar sind, die Sanktionen wählen können, die ihnen
sachgerecht erscheinen. Sie sind jedoch verpflichtet, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
in Bezug auf die verfolgten Ziele zu beachten, ohne Hindernisse für die Ausübung der im
Vertrag verankerten Freiheiten zu schaffen.
Dabei können pauschal (nach dem Kriterium des Hubraums ohne Berücksichtigung des Alters
des Fahrzeugs) bestimmte Sanktionen und eine erhöhte Abgabe, die bis zum Zehnfachen
der fälligen Abgaben gehen kann, unverhältnismäßig sein und ein Hindernis für die
Ausübung der Freizügigkeit der Gebietsansässigen innerhalb der Gemeinschaft darstellen.
Das vorlegende Gericht hat unter Berücksichtigung der zwingenden Erfordernisse der
Strafverfolgung und der Vorbeugung zu beurteilen, ob derartige Sanktionen nicht
unverhältnismäßig sind.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Dieses Dokument liegt in deutscher, französischer, griechischer, italienischer
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1 - Urteil vom 23. Oktober 1997 in der Rechtssache C-375/95, Slg. 1997, I-5981.