Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG N. 40/01

20. September 2001

Schlussanträge von Generalanwalt Francis Jacobs in der Rechtssache C-162/00

Land Nordrhein-Westfalen / Beata Pokrzeptowicz-Meyer

GENERALANWALT JACOBS SCHLÄGT VOR, ZU ENTSCHEIDEN, DASS EINE DEUTSCHE RECHTSVORSCHRIFT, NACH DER STELLEN FÜR FREMDSPRACHENLEKTOREN MITTELS BEFRISTETER ARBEITSVERTRÄGE BESETZT WERDEN KÖNNEN, GEGEN DAS VERBOT DER DISKRIMINIERUNG IN DEN MITGLIEDSTAATEN RECHTMÄSSIG BESCHÄFTIGTER POLNISCHER ARBEITNEHMER VERSTÖSST

Nach Ansicht des Generalanwalts kann sich ein polnischer Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat rechtmäßig beschäftigt ist, in Gerichtsverfahren gegen eine Behörde auf das im EG/Polen-Assoziationsabkommen enthaltene Verbot einer auf der Staatsangehörigkeit beruhenden Diskriminierung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen berufen.


Beata Pokrzeptowicz-Meyer, eine polnische Staatsangehörige, verlegte 1992 ihren Wohnsitz nach Deutschland. Im Oktober 1992 begann sie, als (vom Land Nordrhein-Westfalen eingestellte) teilzeitbeschäftigte Fremdsprachenlektorin an der Universität Bielefeld zu arbeiten. Ihr Arbeitsvertrag lief von Oktober 1992 bis September 1996. In Übereinstimmung mit dem deutschen Recht war ihre Beschäftigung nur befristet, weil sie überwiegend für die Ausbildung in Fremdsprachen erfolgte. Gemäß der Stellenbeschreibung gab Frau Pokrzeptowicz-Meyer bis zu acht Wochenstunden Polnischunterricht.

Das am 01.02.1994 in Kraft getretene EG/Polen-Assoziationsabkommen sieht die .Freizügigkeit der Arbeitnehmer“ vor. Nach dem Abkommen darf ein polnischer Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat rechtmäßig beschäftigt ist, hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der Entlohnung oder der Entlassung nicht wegen der Staatsangehörigkeit diskriminiert werden. Das Abkommen sieht ferner vor, dass die Mitgliedstaaten ihre eigenen Rechtsvorschriften über z. B. Einreise und Aufenthalt, Beschäftigung und Beschäftigungsbedingungen anwenden können, sofern sie dies nicht in einer Weise tun, durch die die aus dem Abkommen fließenden Vorteile zunichte gemacht oder verringert werden.

Nach den bis zum 24.08.1998 geltenden deutschen Rechtsvorschriften (wobei die ab 24.08.1998 geltende Neufassung nach der deutschen Rechtsprechung aber nicht auf Verträge anwendbar ist, die vor diesem Datum geschlossen wurden und endeten) konnten Stellen für Fremdsprachenlektoren mittels befristeter Arbeitsverträge besetzt werden, während der Abschluss derartiger Verträge mit sonstigen Lehrkräften für besondere Aufgaben im Einzelfall durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein mußte.

Frau Pokrzeptowicz-Meyer reichte Klage bei den deutschen Gerichten ein. Sie machte geltend, die deutsche Rechtsvorschrift, gemäß der ihr Vertrag mit dem Land Nordrhein-Westfalen befristet worden sei, könne nicht gerechtfertigt werden. Das Bundesarbeitsgericht ersucht den Gerichtshof um Entscheidung über die Vereinbarkeit dieser deutschen Rechtsvorschrift mit dem Abkommen.

Generalanwalt Jacobs hat heute seine Schlussanträge in dieser Rechtssache vorgetragen.

Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der Generalanwälte ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung für die Rechtssache vorzuschlagen, mit der sie befasst sind.  

Nach Ansicht des Generalanwalts kann sich ein rechtmäßig in einem Mitgliedstaat beschäftigter polnischer Wanderarbeitnehmer in Verfahren gegen einen öffentlichen Arbeitgeber vor den Gerichten der Mitgliedstaaten auf das im Abkommen enthaltene Diskriminierungsverbot berufen.

Generalanwalt Jacobs prüft sodann die Vereinbarkeit der deutschen Rechtsvorschrift mit dem Abkommen.

Er weist darauf hin, dass nach deutschem Recht Fremdsprachenlektoren mit befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt werden konnten, während andere Lehrkräfte für besondere Aufgaben nur befristet beschäftigt werden durften, wenn dies im Einzelfall sachlich gerechtfertigt war. Die meisten Fremdsprachenlektoren hätten aber eine andere Staatsangehörigkeit als die des Staates, in dem sie beschäftigt seien. Folglich führe die Ungleichbehandlung nach dem deutschen Recht zu einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit.

Das Diskriminierungsverbot des Abkommens sollte nach der Auffassung des Generalanwalts nicht eng ausgelegt werden. Deshalb erfasse es sowohl eine mittelbare als auch eine unmittelbare auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen.

Der Generalanwalt verweist auf die Rechtssache Spotti (C-272/92), in der der Gerichtshof gefragt worden war, ob die aus derselben deutschen Rechtsvorschrift herrührende mittelbare Diskriminierung im Verhältnis zwischen deutschen Staatsangehörigen und Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten gerechtfertigt sein konnte. Der Gerichtshof hat in diesem Urteil von 1993 ausgeführt, dass die Befristung der Arbeitsverträge von Fremdsprachenlektoren nicht gerechtfertigt werden könne. Diese Argumentation sei - so der Generalanwalt - auf Sprachlektoren polnischer Staatsangehörigkeit im Kontext des Abkommens anwendbar.

Daher ist die deutsche Rechtsvorschrift nach Ansicht des Generalanwalts nicht mit dem Abkommen vereinbar.


Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument ist in Englisch, Französisch und Deutsch verfügbar.

Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int .
Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou,
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