PRESSEMITTEILUNG N. 44/01
20. September 2001
Schlussanträge von Generalanwalt Antonio Tizzano in der Rechtssache C-209/00
Europäische Kommission / Deutschland
DER GENERALANWALT TIZZANO SCHLÄGT DEM GERICHTSHOF VOR,
FESTZUSTELLEN, DASS DEUTSCHLAND DER KOMMISSIONSANORDNUNG,
DIE STAATLICHE BEIHILFE ZUGUNSTEN DER WESTLB
ZURÜCKZUFORDERN, PFLICHTWIDRIG NICHT NACHGEKOMMEN SEI.
Nach Ansicht des Generalanwalts hat Deutschland nicht nachgewiesen, dass die 1999 und
2000 vorgeschlagenen Maßnahmen geeignet gewesen seien, die Kommissionsentscheidung
umzusetzen.
Daraufhin reichten die deutschen Privatbanken durch den Bundesverband deutscher Banken bei
der Europäischen Kommission Beschwerden ein. Mit Entscheidung vom 8. Juli 1999 stufte die
Kommission die Übertragung als eine rechtswidrige und mit dem Gemeinsamen Markt
unvereinbare staatliche Beihilfe ein und ordnete ihre vollständige Rückforderung an. Im
Wesentlichen stellte die Kommission fest, dass das dem Land zuerkannte Entgelt als
Gegenleistung für die Einbringung der Wfa nicht angemessen sei, da eine marktkonforme
Vergütung für einen Teil des der WestLB übertragenen Kapitals 9,3 % und für den anderen Teil
0,3 % aus den Jahresgewinnen nach Steuern
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betrüge. Für die Zeit von 1992 bis 1998 belaufe sich die Differenz zwischen einer solchen
marktkonformen Vergütung und der dem Land zuerkannten Vergütung schätzungsweise auf
1 579 700 000 DM (807 700 000 EUR), was als Gesamtbetrag der Beihilfe anzusehen sei.
Deutschland reichte am 07.10.1999 beim Gerichtshof der EG gegen die Kommission Klage auf
Nichtigerklärung der Entscheidung ein. Am 12.10.1999 erhoben die WestLB und das Land
NRW beim Gericht 1. Instanz der EG Klagen mit demselben Ziel. Daraufhin hat der
Gerichtshof das bei ihm anhängige Verfahren Deutschland / Kommission bis zu den Urteilen
des Gerichts erster Instanz der EG ausgesetzt. Deutschland ist den Verfahren beim Gericht
beigetreten.
Keine der Parteien hat im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes beantragt, den Vollzug der
Kommissionsentscheidung zunächst auszusetzen, um einen schweren, nicht wieder
gutzumachenden Schaden zu vermeiden. Damit ist die Kommissionsentscheidung unverändert
unverzüglich vollziehbar geblieben.
Deshalb entwickelte Deutschland - obwohl es mit seiner anhängigen Klage die Rechtmäßigkeit
der Entscheidung insgesamt angreift - Lösungen, um die Kommissions-entscheidung zu
vollziehen.
Am 04.10.1999 schlug Deutschland der Europäischen Kommission Umsetzungsmaß-nahmen
vor, die im Wesentlichen darin bestanden, dass NRW das Recht erhalten sollte, bei einer
Liquidation der WestLB oder einer Änderung ihrer Anteilsverhältnisse einen zusätzlichen
Anteil am Wertzuwachs der Bank zwischen 1992 und 1998 zu erlangen, und dass für die Zeit
nach 1998 die Wfa-Sonderrücklagen in eine stille Einlage des Landes umgewandelt werden
sollten, deren Merkmale jedoch nicht näher erläutert wurden. Die Vereinbarung zwischen den
Gewährträgern der WestLB sollte rückwirkend entfallen, wenn die Gemeinschaftsgerichte die
Entscheidung für nichtig erklären, sie rechtskräftig bestätigen oder feststellen würden, dass die
Vereinbarung keine ordnungsgemäße Umsetzung der Entscheidung beinhalte. - Die
Kommission lehnte diesen Vorschlag ab, da er keine ordnungsgemäße Durchführung der
Entscheidung bedeute.
Obgleich die deutsche Regierung mit dieser Stellungnahme der Kommission nicht
einverstanden war, schlug sie am 15. März 2000 neue Maßnahmen zur Umsetzung der
Entscheidung vor, die im Wesentlichen darin bestanden, dass NRW bei der WestLB eine - frei
an Dritte abtretbare - stille Einlage in Höhe von 2,2 Milliarden DM eingeräumt werden sollte.
Diese Einlage sollte vollständig an den Verlusten der Bank teilnehmen (obgleich hierzu keine
weiteren Erläuterungen gegebenen wurden) und vorbehaltlich etwaiger Verluste zum im
Zeitpunkt ihrer Bildung marktüblichen Satz (der später mit 5,804 % beziffert wurde) auf den
Buchwert verzinst werden; diese Zinsen sollten dem Land allerdings nicht unverzüglich
ausgezahlt, sondern zunächst von der Bank verwahrt und bis zur endgültigen Entscheidung der
Gemeinschaftsgerichte über die Nichtigkeitsklagen gegen die streitige Kommissions-
entscheidung dem Kapital zugeschlagen werden.
Bei Obsiegen der Kläger sollte das Land die stille Einlage einschließlich der aufgelaufenen Zinsen entschädigungslos zurückgewähren. - Auch diesen Vorschlag wies die Kommission als unzureichend zurück.
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Die Kommission erhob am 24. Mai 2000 beim Gerichtshof der EG Klage gegen Deutschland
auf Feststellung, dass die Bundesrepublik der Entscheidung der Kommission nicht
nachgekommen sei.
Heute hat Generalanwalt Tizzano seine Schlussanträge in dieser Rechtssache
verkündet.
Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der
Generalanwälte ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche
Lösung für die Rechtssache vorzuschlagen, mit der sie befasst sind.
Der Generalanwalt schlägt dem Gerichtshof der EG vor, festzustellen, die Bundesrepublik
Deutschland habe dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag und aus der
Kommissionsentscheidung verstoßen, dass sie dieser Entscheidung nicht nachgekommen
sei.
Der Generalanwalt prüft, ob die von den deutschen Behörden vorgeschlagenen Maßnahmen
geeignet erscheinen, die Entscheidung ordnungsgemäß umzusetzen.
Der Generalanwalt unterstreicht, dass die Kommissionsentscheidung Deutschland dazu
verpflichtete, die notwendigen Maßnahmen zur Rückerlangung der der WestLB
gewährten Beihilfen zu ergreifen und die Kommission hierüber zu unterrichten. Es sei
somit Sache Deutschlands gewesen, der Kommission die erlassenen (oder beabsichtigten)
Maßnahmen zur Rückforderung der Beihilfe mitzuteilen und zu belegen, dass diese zur
Erreichung des in der Entscheidung vorgeschriebenen Ergebnisses geeignet waren. Ein
Mitgliedstaat könne legitimerweise beschließen, die Beihilfe nicht durch eine einfache
Geldzahlung wiedereinzuziehen, sondern die Begleichung der Schuld durch eine Neuinvestition
zu finanzieren. Dazu müsse er aber belegen, dass diese Transaktion die mit der Entscheidung
vorgeschriebene Rückerlangung beinhalte, ohne dass mit ihr zugleich eine neue Beihilfe
gewährt werde.
Nach Ansicht des Generalanwalts hat Deutschland diesen Nachweis nicht erbracht.
Zu den am 04.10.1999 mitgeteilten Maßnahmen meint der Generalanwalt, es wäre Sache der
deutschen Regierung gewesen, Beweise dafür beizubringen, dass die Einräumung einer
zusätzlichen Beteiligung am Wertwachstum der WestLB an das Land geeignet war, die mit der
Entscheidung vorgeschriebene Rückforderung zu vollziehen, und nicht die Vergabe neuer
Beihilfen bedeutete. Nach Ansicht des Generalanwalts hat die deutsche Regierung vor allem
nicht nachgewiesen,
- dass ein privater Anteilseigner auf eine sichere und fällige Forderung in Höhe der
zurückzufordernden Beihilfe gegen Einräumung des Rechtes verzichtet hätte, im
Zeitpunkt einer Liquidation der WestLB oder einer Änderung der Anteilsverhältnisse (also
zu einem künftigen und ungewissen Zeitpunkt) eine zusätzliche Beteiligung am Wert-
wachstum der Bank zu erhalten (Private Investor-Test),
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- dass der Verzicht der übrigen öffentlichen Anteilseigner auf einen Teil des Wert-
wachstums, um das Land für seinen Verzicht auf die Forderung auf Rückzahlung der Beihilfe
zu entschädigen, dem Vergleichsmaßstab eines privaten Kapitalgebers
entspräche;
- dass die Umwandlung der Wfa-Sonderrücklage ab 1998 in eine stille Einlage des Landes für
dieses (für die Zukunft) eine angemessene Vergütung für die Einbringung der Wfa in die
WestLB dargestellt hätte.
Der Generalanwalt führt in Bezug auf die Maßnahmen aus, sie seien auch deshalb nicht zur
Umsetzung der Entscheidung geeignet, weil sie nur ganz zeitweiliger Art seien: Die
Gewährträger der WestLB wären nämlich übereingekommen, dass ihre Vereinbarung in jedem
Falle rückwirkend entfallen sollte.
Zu dem Maßnahmenvorschlag vom 15.03.2000 führt der Generalanwalt aus, die deutschen
Behörden hätten der Kommission nachweisen müssen, dass es mit diesen vorgeschlagenen
Maßnahmen ermöglicht worden wäre, die Entscheidung umzusetzen, ohne der WestLB eine
neue Beihilfe zu gewähren. Sie hätten dafür konkret belegen müssen, dass ein privater
Anteilseigner der Bank anstelle des Landes bereit gewesen wäre, auf eine sichere und fällige
Forderung in Höhe des Betrages der zurückzufordernden Beihilfe gegen Einräumung einer
stillen Einlage zu verzichten.
Der Generalanwalt meint, die deutschen Behörden hätten diesen Nachweis nicht erbracht, denn
sie hätten sich im Grunde auf den Hinweis beschränkt, die stille Einlage sei deshalb keine neue
Beihilfe an die WestLB, weil sie zu marktüblichen Konditionen geleistet werde. Dass die stille
Einlage dem Land Zinsen in marktüblicher Höhe eingebracht hätte, komme - so der
Generalanwalt - nicht dem Nachweis gleich, dass sich ein privater Anteilseigner der Bank
bereit gefunden hätte, auf eine Forderung in Höhe der wiedereinzuziehenden Beihilfe gegen die
Einräumung einer solchen Einlage zu verzichten. Die von der deutschen Regierung
übermittelten Informationen ermöglichten außerdem nicht die Feststellung, ob die
vorgeschlagenen Maßnahmen die Beseitigung der der WestLB gewährten Beihilfe für die
Zukunft erlaubten.
So kommt der Generalanwalt zum Ergebnis, mangels dieses Nachweises sei davon auszugehen,
dass die deutsche Regierung nicht rechtzeitig geeignete Maßnahmen zur Umsetzung der
Kommissionsentscheidung ergriffen und diese der Kommission mitgeteilt habe.
das den Gerichtshof nicht bindet. Dieses Dokument liegt in deutscher und italienischer Sprache vor.
Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab
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