Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG N. 44/01

20. September 2001

Schlussanträge von Generalanwalt Antonio Tizzano in der Rechtssache C-209/00

Europäische Kommission / Deutschland

DER GENERALANWALT TIZZANO SCHLÄGT DEM GERICHTSHOF VOR, FESTZUSTELLEN, DASS DEUTSCHLAND DER KOMMISSIONSANORDNUNG, DIE STAATLICHE BEIHILFE ZUGUNSTEN DER WESTLB ZURÜCKZUFORDERN, PFLICHTWIDRIG NICHT NACHGEKOMMEN SEI.

Nach Ansicht des Generalanwalts hat Deutschland nicht nachgewiesen, dass die 1999 und 2000 vorgeschlagenen Maßnahmen geeignet gewesen seien, die Kommissionsentscheidung umzusetzen.

Eine vom Land Nordrhein-Westfalen mit Gesetz vom 18. Dezember 1991 vorgenommene Transaktion bestand vor allem darin, dass an eine zum Teil dem Land gehörende öffentlich- rechtliche Bank, die WestLB, (durch Fusion) eine andere öffentlich-rechtliche Anstalt übertragen wurde, und zwar die Wohnungsbauförderungsanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: Wfa), die vollständig dem Land gehörte und deren Anstaltszweck in der Gewährung vergünstigter Darlehen für den Wohnungsbau lag. Mit der Übertragung wurde die Beteiligung des Landes an der WestLB nicht erhöht, sondern es wurde nur festgelegt, dass das Land als Gegenleistung für das eingebrachte Kapital ein Entgelt in Höhe von 0,6 % aus den Jahresgewinnen der WestLB nach Steuern erhalten sollte.

Daraufhin reichten die deutschen Privatbanken durch den Bundesverband deutscher Banken bei der Europäischen Kommission Beschwerden ein. Mit Entscheidung vom 8. Juli 1999 stufte die Kommission die Übertragung als eine rechtswidrige und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfe ein und ordnete ihre vollständige Rückforderung an. Im Wesentlichen stellte die Kommission fest, dass das dem Land zuerkannte Entgelt als Gegenleistung für die Einbringung der Wfa nicht angemessen sei, da eine marktkonforme Vergütung für einen Teil des der WestLB übertragenen Kapitals 9,3 % und für den anderen Teil 0,3 % aus den Jahresgewinnen nach Steuern

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betrüge. Für die Zeit von 1992 bis 1998 belaufe sich die Differenz zwischen einer solchen marktkonformen Vergütung und der dem Land zuerkannten Vergütung schätzungsweise auf 1 579 700 000 DM (807 700 000 EUR), was als Gesamtbetrag der Beihilfe anzusehen sei.

Deutschland reichte am 07.10.1999 beim Gerichtshof der EG gegen die Kommission Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung ein. Am 12.10.1999 erhoben die WestLB und das Land NRW beim Gericht 1. Instanz der EG Klagen mit demselben Ziel. Daraufhin hat der Gerichtshof das bei ihm anhängige Verfahren Deutschland / Kommission bis zu den Urteilen des Gerichts erster Instanz der EG ausgesetzt. Deutschland ist den Verfahren beim Gericht beigetreten.

Keine der Parteien hat im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes beantragt, den Vollzug der Kommissionsentscheidung zunächst auszusetzen, um einen schweren, nicht wieder gutzumachenden Schaden zu vermeiden. Damit ist die Kommissionsentscheidung unverändert unverzüglich vollziehbar geblieben.

Deshalb entwickelte Deutschland - obwohl es mit seiner anhängigen Klage die Rechtmäßigkeit der Entscheidung insgesamt angreift - Lösungen, um die Kommissions-entscheidung zu vollziehen.

Am 04.10.1999 schlug Deutschland der Europäischen Kommission Umsetzungsmaß-nahmen vor, die im Wesentlichen darin bestanden, dass NRW das Recht erhalten sollte, bei einer Liquidation der WestLB oder einer Änderung ihrer Anteilsverhältnisse einen zusätzlichen Anteil am Wertzuwachs der Bank zwischen 1992 und 1998 zu erlangen, und dass für die Zeit nach 1998 die Wfa-Sonderrücklagen in eine stille Einlage des Landes umgewandelt werden sollten, deren Merkmale jedoch nicht näher erläutert wurden. Die Vereinbarung zwischen den Gewährträgern der WestLB sollte rückwirkend entfallen, wenn die Gemeinschaftsgerichte die Entscheidung für nichtig erklären, sie rechtskräftig bestätigen oder feststellen würden, dass die Vereinbarung keine ordnungsgemäße Umsetzung der Entscheidung beinhalte. - Die Kommission lehnte diesen Vorschlag ab, da er keine ordnungsgemäße Durchführung der Entscheidung bedeute.

Obgleich die deutsche Regierung mit dieser Stellungnahme der Kommission nicht einverstanden war, schlug sie am 15. März 2000 neue Maßnahmen zur Umsetzung der Entscheidung vor, die im Wesentlichen darin bestanden, dass NRW bei der WestLB eine - frei an Dritte abtretbare - stille Einlage in Höhe von 2,2 Milliarden DM eingeräumt werden sollte. Diese Einlage sollte vollständig an den Verlusten der Bank teilnehmen (obgleich hierzu keine weiteren Erläuterungen gegebenen wurden) und vorbehaltlich etwaiger Verluste zum im Zeitpunkt ihrer Bildung marktüblichen Satz (der später mit 5,804 % beziffert wurde) auf den Buchwert verzinst werden; diese Zinsen sollten dem Land allerdings nicht unverzüglich ausgezahlt, sondern zunächst von der Bank verwahrt und bis zur endgültigen Entscheidung der Gemeinschaftsgerichte über die Nichtigkeitsklagen gegen die streitige Kommissions- entscheidung dem Kapital zugeschlagen werden.

Bei Obsiegen der Kläger sollte das Land die stille Einlage einschließlich der aufgelaufenen Zinsen entschädigungslos zurückgewähren. - Auch diesen Vorschlag wies die Kommission als unzureichend zurück.


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Die Kommission erhob am 24. Mai 2000 beim Gerichtshof der EG Klage gegen Deutschland auf Feststellung, dass die Bundesrepublik der Entscheidung der Kommission nicht nachgekommen sei.

Heute hat Generalanwalt Tizzano seine Schlussanträge in dieser Rechtssache
verkündet.
    
Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der Generalanwälte ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung für die Rechtssache vorzuschlagen, mit der sie befasst sind.  

Der Generalanwalt schlägt dem Gerichtshof der EG vor, festzustellen, die Bundesrepublik Deutschland habe dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag und aus der Kommissionsentscheidung verstoßen, dass sie dieser Entscheidung nicht nachgekommen sei.

Der Generalanwalt prüft, ob die von den deutschen Behörden vorgeschlagenen Maßnahmen geeignet erscheinen, die Entscheidung ordnungsgemäß umzusetzen.

Der Generalanwalt unterstreicht, dass die Kommissionsentscheidung Deutschland dazu verpflichtete, die notwendigen Maßnahmen zur Rückerlangung der der WestLB gewährten Beihilfen zu ergreifen und die Kommission hierüber zu unterrichten. Es sei somit Sache Deutschlands gewesen, der Kommission die erlassenen (oder beabsichtigten) Maßnahmen zur Rückforderung der Beihilfe mitzuteilen und zu belegen, dass diese zur Erreichung des in der Entscheidung vorgeschriebenen Ergebnisses geeignet waren. Ein Mitgliedstaat könne legitimerweise beschließen, die Beihilfe nicht durch eine einfache Geldzahlung wiedereinzuziehen, sondern die Begleichung der Schuld durch eine Neuinvestition zu finanzieren. Dazu müsse er aber belegen, dass diese Transaktion die mit der Entscheidung vorgeschriebene Rückerlangung beinhalte, ohne dass mit ihr zugleich eine neue Beihilfe gewährt werde.
    
Nach Ansicht des Generalanwalts hat Deutschland diesen Nachweis nicht erbracht.

         Zu den am 04.10.1999 mitgeteilten Maßnahmen meint der Generalanwalt, es wäre Sache der deutschen Regierung gewesen, Beweise dafür beizubringen, dass die Einräumung einer zusätzlichen Beteiligung am Wertwachstum der WestLB an das Land geeignet war, die mit der Entscheidung vorgeschriebene Rückforderung zu vollziehen, und nicht die Vergabe neuer Beihilfen bedeutete. Nach Ansicht des Generalanwalts hat die deutsche Regierung vor allem nicht nachgewiesen,
- dass ein privater Anteilseigner auf eine sichere und fällige Forderung in Höhe der
zurückzufordernden Beihilfe gegen Einräumung des Rechtes verzichtet hätte, im
Zeitpunkt einer Liquidation der WestLB oder einer Änderung der Anteilsverhältnisse (also
zu einem künftigen und ungewissen Zeitpunkt) eine zusätzliche Beteiligung am Wert-
wachstum der Bank zu erhalten (“Private Investor-Test”),


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- dass der Verzicht der übrigen öffentlichen Anteilseigner auf einen Teil des Wert-
wachstums, um das Land für seinen Verzicht auf die Forderung auf Rückzahlung der Beihilfe zu entschädigen, dem Vergleichsmaßstab eines privaten Kapitalgebers
entspräche;
        - dass die Umwandlung der Wfa-Sonderrücklage ab 1998 in eine stille Einlage des Landes für
dieses (für die Zukunft) eine angemessene Vergütung für die Einbringung der Wfa in die
WestLB dargestellt hätte.

Der Generalanwalt führt in Bezug auf die Maßnahmen aus, sie seien auch deshalb nicht zur Umsetzung der Entscheidung geeignet, weil sie nur ganz zeitweiliger Art seien: Die Gewährträger der WestLB wären nämlich übereingekommen, dass ihre Vereinbarung in jedem Falle rückwirkend entfallen sollte.

Zu dem Maßnahmenvorschlag vom 15.03.2000 führt der Generalanwalt aus, die deutschen Behörden hätten der Kommission nachweisen müssen, dass es mit diesen vorgeschlagenen Maßnahmen ermöglicht worden wäre, die Entscheidung umzusetzen, ohne der WestLB eine neue Beihilfe zu gewähren. Sie hätten dafür konkret belegen müssen, dass ein privater Anteilseigner der Bank anstelle des Landes bereit gewesen wäre, auf eine sichere und fällige Forderung in Höhe des Betrages der zurückzufordernden Beihilfe gegen Einräumung einer stillen Einlage zu verzichten.

Der Generalanwalt meint, die deutschen Behörden hätten diesen Nachweis nicht erbracht, denn sie hätten sich im Grunde auf den Hinweis beschränkt, die stille Einlage sei deshalb keine neue Beihilfe an die WestLB, weil sie zu marktüblichen Konditionen geleistet werde. Dass die stille Einlage dem Land Zinsen in marktüblicher Höhe eingebracht hätte, komme - so der Generalanwalt - nicht dem Nachweis gleich, dass sich ein privater Anteilseigner der Bank bereit gefunden hätte, auf eine Forderung in Höhe der wiedereinzuziehenden Beihilfe gegen die Einräumung einer solchen Einlage zu verzichten. Die von der deutschen Regierung übermittelten Informationen ermöglichten außerdem nicht die Feststellung, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen die Beseitigung der der WestLB gewährten Beihilfe für die Zukunft erlaubten.

So kommt der Generalanwalt zum Ergebnis, mangels dieses Nachweises sei davon auszugehen, dass die deutsche Regierung nicht rechtzeitig geeignete Maßnahmen zur Umsetzung der Kommissionsentscheidung ergriffen und diese der Kommission mitgeteilt habe.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument,
das den Gerichtshof nicht bindet.
Dieses Dokument liegt in deutscher und italienischer Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int 
Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou,
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