PRESSEMITTEILUNG N. 52/01
Finalarte Sociedade de Construção Civil Lda u. a. / Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der
Bauwirtschaft (C-49/98, C-70/98, C-71/98) undUrlaubs- und Lohnausgleichskasse der
Bauwirtschaft / Amilcar Oliveira Rocha u. a. (C-50/98, C-52/98 bis C-54/98, C-68/98,
C-69/98)
EIN MITGLIEDSTAAT KANN UNTER BESTIMMTEN VORAUSSETZUNGEN EIN
UNTERNEHMEN DES BAUGEWERBES, DAS IN EINEM ANDEREN
MITGLIEDSTAAT ANSÄSSIG IST UND ARBEITNEHMER ENTSENDET, DER
ANWENDUNG EINER URLAUBSREGELUNG UNTERWERFEN, WENN DIESE
DEN ENTSANDTEN ARBEITNEHMERN VORTEILE BRINGT
Der Gerichtshof äußert sich zur Anwendung der deutschen Urlaubsregelung für
Arbeitnehmer im Baugewerbe im Fall von Arbeitgebern, die in Portugal und im Vereinigten
Königreich ansässig sind und 1997 Arbeitnehmer nach Deutschland entsandt haben.
Für das Baugewerbe ist kennzeichnend, dass die Arbeitnehmer häufig ihren Arbeitgeber
wechseln. Aus diesem Grund sieht der Rahmentarifvertrag vor, dass die verschiedenen während
eines Jahres eingegangenen Arbeitsverhältnisse zu einem Arbeitsverhältnis zusammengefasst
werden. Diese Fiktion erlaubt es dem Arbeitnehmer, seine bei den verschiedenen Arbeitgebern
während des Bezugsjahres erworbenen Urlaubsansprüche zusammenzurechnen und in vollem
Umfang bei seinem aktuellen Arbeitgeber geltend zu machen, unabhängig davon, wie lange er
bei ihm beschäftigt ist.
Es wurde eine Kasse geschaffen, um die schwere finanzielle Belastung, die es für diesen
Arbeitgeber darstellen kann, auch Urlaubsvergütung zu zahlen, auf die ein Anspruch bei anderen
Arbeitgebern erworben wurde, auszugleichen und eine gleichmäßige Verteilung der finanziellen
Belastungen zwischen den betroffenen Arbeitgebern zu gewährleisten.
Seit dem 1. Januar 1997 ist diese Urlaubsregelung auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen
Unternehmen mit Sitz außerhalb Deutschlands und den von ihnen zur Erbringung baulicher
Leistungen auf eine Baustelle in Deutschland entsandten Arbeitnehmern anwendbar.
Acht in Portugal ansässige und ein im Vereinigten Königreich ansässiger Arbeitgeber entsandten
1997 Arbeitnehmer zur Erbringung baulicher Leistungen nach Deutschland. Die Kasse verlangt
von diesen Arbeitgebern die Teilnahme am Umlageverfahren zur Finanzierung derUrlaubsansprüche der Arbeitnehmer im Baugewerbe und die Erteilung von Auskünften. Dem
widersetzen sich die Arbeitgeber.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden, das mit den neun Rechtsstreitigkeiten zwischen diesen
Arbeitgebern und der Kasse befasst ist, fragt den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
nach der Vereinbarkeit der deutschen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht und
insbesondere mit dem freien Dienstleistungsverkehr.
Das deutsche Gericht ist der Ansicht, die den außerhalb Deutschlands ansässigen
Dienstleistenden auferlegten Formalitäten führten zu einer Steigerung der Kosten und der
administrativen und wirtschaftlichen Belastungen. Der Gerichtshof sieht darin eine
Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit.
Der Gerichtshof prüft, ob diese Behinderung gerechtfertigt ist. Die deutsche Regelung habe
das erklärte Ziel, die deutschen Unternehmen des Baugewerbes gegen den steigenden
Wettbewerbsdruck im europäischen Binnenmarkt, also gegen ausländische Dienstleistende zu
schützen. Mit einem solchen Gesetz solle daher vor allem angeblich unfairer Wettbewerb durch
europäische Billiglohnunternehmen bekämpft werden.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes können Maßnahmen, die eine Beschränkung der
Dienstleistungsfreiheit darstellen, nicht durch Ziele wirtschaftlicher Art wie den Schutz der
inländischen Unternehmen gerechtfertigt werden. Nach Auffassung des Gerichtshofes muss
das deutsche Gericht prüfen, ob die fragliche Regelung bei objektiver Betrachtung die
entsandten Arbeitnehmer tatsächlich schützt.
Voraussetzung sei also, dass die entsandten Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften des
Niederlassungsmitgliedstaats ihres Arbeitgebers keinen im Wesentlichen vergleichbaren
Schutz genössen: Die Anwendung der nationalen Regelung des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet
sie entsandt seien, müsse ihnen einen tatsächlichen Vorteil verschaffen, der deutlich zu ihrem
sozialen Schutz beitrage. Die Anwendung dieser Regelung müsse im Hinblick auf das verfolgte
im Allgemeininteresse liegende Ziel verhältnismäßig sein.
N.B.:
Die Gemeinschaftsrichtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung
von Dienstleistungen musste bis zum 16. Dezember 1999 umgesetzt werden. Ihre Bestimmungen
spielen daher für diese Sachverhalte, die das Jahr 1997 betreffen, keine Rolle.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
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