Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG N. 57/01

16. November 2001

Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz im Verfahren der einstweiligen Anordnung in der Rechtssache T-151/01 R

Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland AG / Kommission der Europäischen Gemeinschaften

DIE ENTSCHEIDUNG DER KOMMISSION VOM 20. APRIL 2000 BEZÜGLICH DES SYSTEMS ZUR SAMMLUNG GEBRAUCHTER VERPACKUNGEN UND DER NUTZUNG DES ZEICHENS "DER GRÜNE PUNKT" IN DEUTSCHLAND BLEIBT ANWENDBAR


Das Gericht erster Instanz weist den im Verfahren der einstweiligen Anordnung gestellten Antrag auf Aussetzung der Entscheidung zurück

Die Antragstellerin, die Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland AG [DSD], betreibt seit 1991 als einzige Gesellschaft ein bundesweites Befreiungssystem zur Sammlung gebrauchter Verkaufsverpackungen beim Endverbraucher oder in dessen Nähe. Nach deutschem Recht entfällt die Pflicht zur Rücknahme und Verwertung gebrauchter Verkaufsverpackungen für solche Hersteller und Vertreiber, die sich an einem System wie dem der Antragstellerin beteiligen.

Die Hersteller- und Vertreiberpflichten können auch erfüllt werden, indem die vom Endverbraucher gebrauchten Verkaufsverpackungen am Ort der tatsächlichen Übergabe oder in dessen unmittelbarer Nähe unentgeltlich zurückgenommen und einer Verwertung zugeführt werden (Selbstentsorgerlösung).

Die Beziehungen zwischen der Antragstellerin und den ihrem System angeschlossenen Unternehmen sind im Zeichennutzungsvertrag für das Zeichen "Der Grüne Punkt" geregelt. Die Beteiligung eines Unternehmens an dem System, das die Sammlung, Sortierung und Verwertung der gebrauchten Verkaufsverpackungen betreibt, setzt voraus, dass ihm von der Antragstellerin - gegen Entgelt - die Nutzung des Zeichens "Der Grüne Punkt" gestattet wird. Das am DSD- System beteiligte Unternehmen ist verpflichtet, das Zeichen "Der Grüne Punkt" auf seinen Verpackungen anzubringen und für alle von ihm mit diesem Zeichen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vertriebenen Verpackungen an die Antragstellerin ein Lizenzentgelt zu entrichten. Ausnahmen hiervon bedürfen einer schriftlichen, gesonderten Vereinbarung. Die Lizenzentgelte dienen ausschließlich der Abdeckung der durch die Sammlung, Sortierung und Verwertung entstehenden Kosten sowie des erforderlichen Verwaltungsaufwands.

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Nachdem die Europäische Kommission öffentlich mitgeteilt hatte, sie beabsichtige, die angemeldeten Vereinbarungen positiv zu beurteilen, gingen bei ihr Stellungnahmen von betroffenen Dritten ein, in denen insbesondere beanstandet wurde, dass es im Fall einer gleichzeitigen Beteiligung am DSD-System und am System eines alternativen Anbieters aufgrund der doppelten Entgeltbelastung zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs kommen könne.

Die Europäische Kommission stellte in einer Entscheidung vom 20. April 2001 fest, die Antragstellerin missbrauche ihre beherrschende Stellung auf dem Markt für die Organisation der Rücknahme und Verwertung der bei Privatverbrauchern in Deutschland gesammelten gebrauchten Verkaufsverpackungen im Sinne von Artikel 82 EG-Vertrag. Der Missbrauch bestehe darin, dass die Antragstellerin im Fall des Auseinanderfallens von Zeichennutzung und tatsächlicher Inanspruchnahme ihrer Befreiungsdienstleistung unangemessene Preise und Geschäftsbedingungen erzwinge. Um einer Fortsetzung dieser Zuwiderhandlung zu begegnen, verlangte die Kommission von der Antragstellerin, dass sich diese gegenüber allen Vertragspartnern des Zeichennutzungsvertrags verpflichtet, insoweit kein Lizenzentgelt zu verlangen, als die Verpackungen in Deutschland von anderen Anbietern entsorgt werden.

Die Antragstellerin hat beim Gericht erster Instanz der EG beantragt, die Kommissionsentscheidung für nichtig zu erklären sowie bis zu seinem Urteil in der Hauptsache den Vollzug der Kommissionsentscheidung einstweilig auszusetzen. Das Gericht weist den Antrag auf einstweilige Anordnung zurück.

Das Gericht umreißt zunächst das Kernproblem in der Rechtssache. Diese werfe in erster Linie die Frage auf, ob die vom Inhaber des Markenrechts festgelegte Entgeltregelung erforderlich sei, um den spezifischen Gegenstand dieses Rechts zu wahren, oder, anders formuliert, ob das Markenrecht unter den Umständen des vorliegenden Falles von der Antragstellerin als Mittel zur missbräuchlichen Ausnutzung ihrer beherrschenden Stellung genutzt werde. Die gründliche Prüfung, die die Beantwortung der mit dieser Problematik zusammenhängenden Fragen voraussetze, könne jedoch im Verfahren der einstweiligen Anordnung im Rahmen einer Prüfung der Glaubhaftmachung der Begründetheit der Klage nicht vorgenommen werden.

Sodann prüft das Gericht, ob die Antragstellerin durch den sofortigen Vollzug einen schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden erleiden würde. Der Beweis dafür, dass der sofortige Vollzug das DSD-System gefährden würde, sei jedoch nicht erbracht.

Von den zahlreichen vorgebrachten Argumenten weist das Gericht u. a. dasjenige zurück, die unterschiedslose Kennzeichnung der Verkaufsverpackungen mit der Marke würde zu einer nicht wieder rückgängig zu machenden Beeinträchtigung ihrer Signalwirkung führen, da für den Endverbraucher auf Dauer nicht mehr erkennbar wäre, ob eine mit der Marke "Der Grüne Punkt" gekennzeichnete Verpackung über die Sammelgefäße der Antragstellerin oder die eines Dritten zu entsorgen sei. Die Antragstellerin weise nicht nach, dass der Verbraucher von der streitigen Entscheidung in der Weise berührt werde, dass für ihn bereits vor Erlass des Urteils in der Hauptsache nicht mehr erkennbar wäre, über welches Sammelgefäß die Verpackungen zu entsorgen seien.

Zudem befände sich die Antragstellerin, wenn der Klage stattgegeben werden sollte, auf dem Markt in der gleichen Situation wie vor dem Erlass der streitigen Entscheidung. Die Situation, die durch die Entscheidung auf dem Markt geschaffen worden sei, könne daher nicht als irreversibel angesehen werden.

Außerdem sei die Verringerung der Lizenzentgelte, die aus dem Vollzug der streitigen Entscheidung folgen könnte - und die nicht hinreichend substantiiert werde - ein finanzieller Schaden. Ein solcher Schaden könne nur unter außergewöhnlichen Umständen als ein nicht oder auch nur schwer wieder gutzumachender Schaden angesehen werden, da er Gegenstand eines späteren finanziellen Ausgleichs sein könne.


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Zudem führe die Abwägung des Interesses der Antragstellerin am Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung einerseits und des öffentlichen Interesses am Vollzug einer von der Kommission nach Artikel 82 EG-Vertrag erlassenen Entscheidung sowie der Interessen der Streithelferinnen, die durch eine Aussetzung der streitigen Entscheidung unmittelbar betroffen wären, andererseits zur Zurückweisung des Antrags. Unter den sehr speziellen Umständen des vorliegenden Falles könne das öffentliche Interesse an der Beachtung des Eigentumsrechts allgemein und der Rechte an geistigem Eigentum insbesondere, das sich aus den Artikeln 30 EG- Vertrag und 295 EG-Vertrag ergebe, nicht schwerer wiegen als das Interesse der Kommission, sofort eine ihres Erachtens erfolgte Zuwiderhandlung gegen Artikel 82 EG-Vertrag abzustellen und auf diese Weise günstige Voraussetzungen für den Zugang von Konkurrenten der Antragstellerin zum betreffenden Markt zu schaffen.

Hinweis: Dieser Beschluss greift der Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache nicht vor. Das Gericht wird sein Urteil zur Hauptsache zu einem späteren Zeitpunkt verkünden.


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das das Gericht erster Instanz nicht bindet.

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