PRESSEMITTEILUNG N. 100/02
Die Vorlage erfolgt im Rahmen eines belgischen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts
von Finanz- und Steuerstraftaten, in dessen Rahmen sich ein Beschuldigter und ein Zeuge, beide
Bankangestellte in Luxemburg, unter Berufung auf die Verpflichtung zur Wahrung des
Berufsgeheimnisses, dem nach luxemburgischen Recht die im Bankensektor tätigen Personen
unterliegen, weigerten, die ihnen gestellten Fragen zu beantworten.
Im Gegensatz zum belgischen Recht bedroht das luxemburgische Recht nämlich die Verletzung
des Bankgeheimnisses mit Strafe. Das gilt jedoch nicht, wenn die vom Bankgeheimnis gedeckten
Auskünfte bei einer Vernehmung vor Gericht offenbart werden.
Das vorlegende Gericht geht auf der Grundlage seiner Auslegung der territorialen Anwendung
des luxemburgischen Rechts implizit davon aus, dass dieses es untersage, den belgischen
Justizbehörden vom Bankgeheimnis erfasste Auskünfte zu erteilen. Von diesem Standpunkt
ausgehend, führt es aus, dass die Kollision zwischen der belgischen Regelung über
Zeugenaussagen vor Gericht und der luxemburgischen Regelung über das Bankgeheimnis in
dieser Auslegung zu einer Behinderung der Erhebung von Beweisen und einem Hemmnis für den
freien Dienstleistungsverkehr führen könne.
Die Auslegung des luxemburgischen Rechts durch das belgische Gericht, auf der die vier Fragen
beruhen, die dieses dem Gerichtshof vorgelegt hat, halten die belgische Regierung und die
luxemburgische Regierung selbst für unzutreffend.
Der Gerichtshof der EG erinnert daran, dass er im Vorabentscheidungsverfahren nicht dazu
befugt sei, Gutachten zu hypothetischen Fragen abzugeben. Sodann verweist er darauf, dass er
in diesem Zusammenhang die Beantwortung von Vorlagefragen ablehnen kann, wenn er nicht
über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche
Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.
In diesem Zusammenhang ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die vom belgischen vorlegenden
Gericht gewählte Auslegung der luxemburgischen Regelung über das Bankgeheimnis in
Ermangelung einer Entscheidung eines luxemburgischen Gerichts hypothetisch sei. Es
handele sich nämlich nicht um die einzige mögliche Auslegung dieser Bestimmungen.
Hierzu erläutere das vorlegende Gericht nicht, welche Gründe es veranlasst haben, die
Auslegung, von der es ausgeht, als einzige in Betracht zu ziehen. Dass die Erheblichkeit der
vom vorlegenden belgischen Gericht aufgeworfenen Fragen auf einer bestimmten Auslegung des
nationalen Rechts eines anderen Mitgliedstaats beruht, machte indessen eine Begründung des
Vorlagebeschlusses in diesem Punkt in besonderem Maß erforderlich.
Daher stellt der Gerichtshof fest, dass die Vorlagefragen unzulässig sind, da das vorlegende
Gericht ihm nicht alle für die Prüfung, ob die Auslegung, um die ersucht worden ist, im
Ausgangsverfahren zweckdienlich ist, erforderlichen Anhaltspunkte mitgeteilt hat.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
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