Am 28. April 1999 erließ die Kommission den Beschluss zur Errichtung
des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung, OLAF.
Das OLAF wird mit der Durchführung von Verwaltungsuntersuchungen
beauftragt, die zur Bekämpfung von Betrug, Korruption und sonstigen
rechtswidrigen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften
dienen.
Am 25. Mai 1999 erließen das Europäische Parlament und der Rat eine
Verordnung über die Untersuchungen des OLAF. Nach dieser Verordnung
kann das OLAF u. a. innerhalb der Europäischen Organe Untersuchungen
durchführen, wobei die Organe darüber in Kenntnis zu setzen sind,
wenn die Bediensteten des OLAF eine Untersuchung in ihren Räumlichkeiten
durchführen und wenn sie Dokumente einsehen oder Informationen anfordern,
die sich im Besitz der Organe befinden.
Eine Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Parlament, dem
Rat und der Kommission sieht vor, dass jedes Organ für sich eine gemeinsame
Regelung annimmt, die die erforderlichen Bestimmungen zur Erleichterung eines
reibungslosen Ablaufs der Untersuchungen des Amtes bei ihnen enthält.
Am 1. Juni 1999 traten diese Vereinbarung und die Verordnung über
die Untersuchungen in Kraft.
Am 18. November 1999 erließ das Parlament einen Beschluss über
die Änderung seiner Geschäftsordnung, der die Anwendung
der in der Interinstitutionellen Vereinbarung vorgesehenen Regelung ermöglicht.
-
2 -
Willi Rothley und 70 weitere Abgeordnete des Europäischen Parlaments
halten diesen Beschluss für rechtswidrig und beantragen beim Gericht erster
Instanz der Europäischen Gemeinschaften seine Nichtigerklärung.
Außerdem hatten sie die Aussetzung seines Vollzugs und den Erlass anderer
einstweiliger Anordnungen beantragt, die den Schutz der Mitglieder des Parlaments
sicherstellen. Mit Beschluss vom 2. Mai 2000 setzte der Präsident des Gerichts
den Vollzug des Beschlusses des Europäischen Parlaments teilweise aus und
gab dem Europäischen Parlament bis zur Entscheidung in der Hauptsache auf,
den Bediensteten des OLAF nur mit Zustimmung der antragstellenden Abgeordneten
Zugang zu deren Räumen zu gewähren (siehe Pressemitteilung Nr. 32/2000).
Die Kläger beantragen, die angefochtene Handlung für nichtig zu
erklären, soweit sie die Mitglieder des Europäischen Parlaments betreffe.
Das Parlament beantragt, die Klage als unzulässig, hilfsweise, als unbegründet
abzuweisen. Das Europäische Parlament wird durch den Rat, die Kommission,
die Niederlande und Frankreich unterstützt.
Das Gericht weist die Klage als unzulässig ab.
Nach Artikel 230 EG kann u. a. jede natürliche Person unter bestimmten
Voraussetzungen Klage gegen eine Entscheidung erheben, die sie unmittelbar und
individuell betrifft.
Das Gericht prüft, ob die angefochtene Handlung eine .Entscheidung
im Sinne des Artikels 230 EG oder eine generelle Rechtsnorm darstellt.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts stelle eine
Handlung keine .Entscheidung dar, wenn sie einen objektiven Tatbestand
habe und Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt umschriebenen
Personengruppen erzeuge.
Das Gericht führt aus, mit der angefochtenen Handlung werde allgemein
das Ziel verfolgt, die Bedingungen festzulegen, unter denen das Parlament mit
dem OLAF kooperiere, um den reibungslosen Ablauf der Untersuchungen zu erleichtern.
Entsprechend diesem Ziel befasse sie sich mit der Situation der Mitglieder des
Parlaments und enthalte für sie besondere Vorschriften u. a. für
den Fall, dass sie in eine Untersuchung des OLAF verwickelt werden oder Kenntnis
von Tatsachen erlangen sollten, die mögliche Fälle von Betrug oder
schwerwiegende Vorkommnisse im Zusammenhang mit der Ausübung beruflicher
Tätigkeiten vermuten ließen, die eine disziplinarrechtlich oder strafrechtlich
zu ahndende Pflichtverletzung darstellen könnten. Die angefochtene Handlung
gelte unterschiedslos für diejenigen, die im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens
Mitglieder des Parlaments seien, wie für diejenigen, die zu einem späteren
Zeitpunkt diese Funktion ausübten. Sie gelte unbefristet, habe einen objektiven
Tatbestand und erzeuge Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt
umschriebenen Personengruppen.
Demnach sei die angefochtene Handlung eine generelle Rechtsnorm, auch
wenn sie als .Beschluss bezeichnet werde.
Das Gericht prüft weiter, ob hier Umstände vorliegen, die es
ermöglichen, die Kläger wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften
oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender
Umstände zu individualisieren.
Es stellt fest, dass die angefochtene Handlung die Kläger ebenso
wie jedes andere derzeitige oder künftige Mitglied des Parlaments berühre.
-
3 -
Die Kläger haben vorgetragen, dass die angefochtene Handlung ihre
Unabhängigkeit und die Immunität beeinträchtige, die ihnen
nach dem Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen
Gemeinschaften zustehe. Das Gericht stellt jedoch fest, dass dieses Protokoll
keine Vorschrift enthalte, die ausdrücklich die parlamentsinternen Untersuchungen
regele, und dass
die angefochtene Handlung bestimme, dass die .Regeln über die parlamentarische
Immunität und das Zeugnisverweigerungsrecht des Abgeordneten ... davon
unberührt blieben.
Die Gefahr, dass das OLAF im Rahmen einer Untersuchung eine Handlung vornehme,
die die den Mitgliedern des Parlaments zustehende Immunität beeinträchtige,
könne nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. In einem solchen
Fall verfüge jedoch ein Mitglied des Parlaments, das von einer Handlung
dieser Art betroffen sei und sich dadurch belastet fühle, über den
im EG-Vertrag vorgesehenen gerichtlichen Rechtschutz.
Da die Kläger durch die angefochtene Handlung nicht .individuell
betroffen seien, sei die Klage unzulässig.
Hinweis: Gegen das Urteil des Gerichts kann binnen zwei Monaten nach
seiner Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften eingelegt werden.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das das Gericht erster Instanz nicht bindet. Dieses Dokument liegt in französischer, englischer und deutscher
Sprache vor. Wegen des vollständigen Wortlauts des Urteils konsultieren Sie
bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet
www.curia.eu.int Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle
Phalippou, |