Abteilung Presse und Information


PRESSEMITTEILUNG N. 31/02


21. März 2002

Schlussanträge des Generalanwalts D. Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache C-305/00

Christian Schulin / Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH


NUR LANDWIRTE, DIE LIZENZGEBUNDENES VERMEHRUNGSMATERIAL EINER GESCHÜTZTEN PFLANZENSORTE ERWORBEN HABEN, SIND ZUR AUSKUNFT DARÜBER VERPFLICHTET, OB SIE VOM LANDWIRTEPRIVILEG GEBRAUCH GEMACHT HABEN

Das Fehlen eines förmlichen Vertrages zwischen dem Sortenschutzinhaber und dem Landwirt, der Vermehrungsmaterial einer geschützten Sorte kauft, hindert nach Ansicht des Generalanwalts nicht das Bestehen einer Rechtsbeziehung zwischen beiden



Durch eine Verordnung von 1994 wird ein gemeinschaftlicher Sortenschutz als ausschließliche Form des gemeinschaftlichen gewerblichen Rechtsschutzes für Pflanzensorten geschaffen. Diese Verordnung enthält eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz des Schutzes der Rechte des Inhabers, die in der Möglichkeit besteht, dass die Landwirte auf ihren Feldern das Ernteerzeugnis anbauen, das sie durch Anbau von Vermehrungsgut einer geschützten Sorte gewonnen haben. Diese Ausnahme wird "Landwirteprivileg" genannt. Eine Verordnung von 1995 regelt dieses Landwirteprivileg näher und verpflichtet Landwirte, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, dem Inhaber eine angemessene Entschädigung zu zahlen, die jedoch deutlich niedriger sein muss als der Betrag, der im selben Gebiet für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial derselben Sorte in Lizenz verlangt wird. Daneben regelt diese Verordnung die Auskunftspflicht des Landwirts zum Zweck der Entschädigung des Sortenschutzinhabers.

Der vorliegende Rechtsstreit entstand durch die Weigerung des deutschen Landwirts Schulin, der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH Auskunft darüber zu erteilen, ob er vom Landwirteprivileg im Wirtschaftsjahr 1997/98 Gebrauch gemacht hat. Die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH ist von einer Vielzahl von Sortenschutzinhabern sowie Inhabern von Nutzungsrechten an geschützten Sorten ermächtigt worden, unter anderem deren Vergütungsansprüche für den Nachbau geschützter Sorten im eigenen Namen gegenüber Landwirten geltend zu machen.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat dem Gerichtshof der EG eine Frage danach zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob der Inhaber eines gemeinschaftlichen Pflanzenschutzes von jedem Landwirt Informationen zu dem Zweck verlangen kann, von ihm eine Entschädigung dafür zu verlangen, dass er von diesem Privileg Gebrauch gemacht hat, auch wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er die Pflanzensorte in seinem Betrieb benutzt hat.

Generalanwalt Ruiz-Jarabo trägt heute seine Schlussanträge vor.

Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Seine Aufgabe ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung für die Rechtssachen vorzuschlagen, mit denen er befasst ist.  

Nach Ansicht des Generalanwalts besteht das Problem in der Bestimmung der Landwirte, die zur Auskunft gegenüber dem Sortenschutzinhaber verpflichtet sind. Zwar obliegt diese Pflicht nach der Verordnung von 1995 dem Landwirt, der Land pflanzenbaulich bewirtschaftet, doch dient diese Regelung der Durchführung des Landwirteprivilegs im Sinne der Verordnung von 1994, die den gemeinschaftlichen Schutz der Pflanzensorten bezweckt. Daher ist der Generalanwalt der Ansicht, dass die Auskunftspflicht nur denjenigen Landwirten obliege, die lizenzgebundenes Vermehrungsmaterial einer geschützten Sorte erworben hätten.

Daher sei der von der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH geltend gemachte Anspruch, unterschiedslos von sämtlichen Landwirten eines Landes verlangen zu können, dass diese ein Formblatt über die Verwendung des Ernteerzeugnisses aus dem Anbau einer geschützten Sorte ausfüllten, von der sie möglicherweise niemals zertifiziertes Saatgut erworben hätten, unverhältnismäßig.

Zum Inhalt der Pflicht des Landwirts, der vom Landwirteprivileg Gebrauch macht, führt der Generalanwalt aus, dass diese Pflicht in einem Vertrag im Einzelnen geregelt werden könne, der eine Nebenvereinbarung zum Hauptvertrag, also dem Vertrag sei, mit dem der Landwirt zur Nutzung der geschützten Pflanzensorte ermächtigt werde. Allerdings ist der Generalanwalt der Ansicht, dass auch dann, wenn eine solche Nebenvereinbarung nicht geschlossen werde, eine Rechtsbeziehung zwischen dem Sortenschutzinhaber oder seinen Vertretern und dem Landwirt bestehe, der das Vermehrungsmaterial erstmals kaufe. Daher wäre es folgerichtig, dass der Sortenschutzinhaber Vorkehrungen treffe, um ständig auf dem Wege über die Vermittler oder Lieferanten von Saatgut darüber informiert zu werden, wer das Vermehrungsmaterial erwerbe.

Hinweis: Die Richter des Gerichtshofes der EG beginnen nun ihre Beratung in dieser Rechtssache. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.


Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument liegt in französischer, deutscher und spanischer Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int 

Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou,
Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.