PRESSEMITTEILUNG N. 50/02
Airtours ist eine britische Gesellschaft, die im Vereinigten Königreich
Pauschalreisen, bestehend aus Reise und Unterkunft, zu Kurzstreckenzielen (Spanien,
Griechenland, Türkei usw.) vertreibt. Ihre Hauptkonkurrentinnen sind die
Gesellschaften Thomson, Thomas Cook und First Choice.
Am 29. April 1999 machte Airtours für First Choice ein öffentliches
Übernahmeangebot. Gemäß den geltenden Gemeinschaftsvorschriften
meldete Airtours dieses Zusammenschlussvorhaben bei der Kommission an.
Mit Entscheidung vom 22. September 1999 erklärte die Kommission den Zusammenschluss
für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt, da er zu einer kollektiven beherrschenden
Stellung von Airtours/First Choice und den beiden anderen großen Reiseveranstaltern
auf dem britischen Markt für Kurzstrecken-Pauschalreisen (Thomson und Thomas
Cook) geführt hätte, weil für diese Unternehmen ein Anreiz bestehen
würde, das auf den Markt gebrachte Angebot einzuschränken, wodurch
es zu einem Anstieg der Preise und Erträge kommen dürfte.
Nach den Angaben der Kommission würde die Übernahme von First Choice
durch Airtours zu einer starken Konzentration mit Marktanteilen der drei genannten
Reiseveranstalter, die zusammen derzeit 68 % Marktanteile hielten, von
insgesamt 79 % führen.
Diese drei Reiseveranstalter könnten dann ihr Verhalten stillschweigend
koordinieren (ohne auf eine Vereinbarung oder ein Kartell zurückzugreifen)
und aufgrund eines einheitlichen Vorgehens höhere Tarife durchsetzen, als
sie sich aus einem wirksamen Wettbewerb ergeben würden. Die kleinen unabhängigen
Reiseveranstalter würden durch diese neue Marktstruktur noch weiter marginalisiert.
Airtours wendet sich gegen die Beurteilung der Kommission und
hat beim Gericht erster Instanz der EG Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung
der Kommission erhoben.
Airtours ist nämlich der Auffassung, dass die Kommission mehrere Beurteilungsfehler
begangen habe und nicht hinreichend dartue, inwiefern der Zusammenschluss eine
kollektive beherrschende Stellung begründen würde.
Das Gericht erster Instanz erinnert daran, dass das Verbot
eines Zusammenschlusses voraussetze, dass dessen unmittelbare und sofortige
Folge die Begründung oder Verstärkung einer kollektiven beherrschenden
Stellung wäre, die einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt erheblich und
dauerhaft behindern würde.
Nach Ansicht des Gerichts erster Instanz weist die Kommission
nicht nach, dass der Zusammenschluss zur Begründung einer wettbewerbsbeschränkenden
kollektiven beherrschenden Stellung auf dem britischen Markt für Kurzstrecken-Pauschalreisen
geführt hätte.
Für die Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung müssten
drei Voraussetzungen erfüllt sein.
Zunächst müsse jedes Mitglied des Oligopols aufgrund der Merkmale
des relevanten Marktes das Verhalten der anderen Mitglieder in Erfahrung bringen
können, um einheitlich vorgehen zu können.
Ferner müssten die Mitglieder des Oligopols dauerhaft abgeschreckt werden,
vom festgelegten Vorgehen abzuweichen.
Schließlich dürfte dieses Vorgehen von den anderen Konkurrenten
(den .kleinen Reiseveranstaltern), den potenziellen Konkurrenten (den
Reiseveranstaltern auf anderen Märkten) oder den Kunden nicht gefährdet
werden können.
Das Gericht erster Instanz ist der Auffassung, dass die Kommission nicht -
wie es erforderlich gewesen wäre - belegt habe, dass der Zusammenschluss
die drei großen Reiseveranstalter dazu verleiten würde, einander keine
Konkurrenz mehr zu machen. Die drei Voraussetzungen für die kollektive
beherrschende Stellung seien nicht erfüllt. Erstens habe die Kommission
zu Unrecht angenommen, dass die großen Reiseveranstalter durch den Zusammenschluss
ihre jeweiligen Geschäftsstrategien leichter durchschauen und sie übernehmen
könnten.
Zweitens seien die Gegenmaßnahmen, denen sich ein Mitglied des Oligopols
aussetzen könnte, wenn es vom gemeinsamen Vorgehen abweichen würde,
von der Kommission nicht eindeutig festgestellt und bewiesen worden.
Drittens habe die Kommission bei der Einschätzung der Reaktion der kleinen
Reiseveranstalter, der potenziellen Konkurrenten und der britischen Verbraucher
einen Beurteilungsfehler begangen. Sie habe nämlich deren Rolle als Gegengewicht
bei der Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung unterschätzt.
Die Konkurrenten könnten ihr Angebot erweitern, um die Möglichkeiten
zu nutzen, die ein etwaiger Versuch einer Angebotsbeschränkung mit Sicherheit
bieten würde. Außerdem bestünde in einer solchen Situation
für die Reiseveranstalter auf anderen räumlichen Märkten oder
auf dem britischen Markt für Langstrecken-Pauschalreisen ein Anreiz, schnell
in den relevanten Markt einzutreten.
Im Hinblick auf die Verbraucher trägt die Kommission vor, dass
sie keine signifikante Nachfragemacht hätten. Nach Ansicht des Gerichts
erster Instanz muss vor allem geprüft werden, ob sie auf den Preisanstieg
reagieren könnten, zu dem es käme, wenn das von den großen Reiseveranstaltern
auf den Markt gebrachte Angebot beschränkt würde. Diese Reaktion
sei möglich, da die Verbraucher Preisvergleiche anstellen würden
und sich kleinenReiseveranstaltern oder anderen Reisezielen zuwenden könnten,
wenn der Preis für Kurzstrecken-Pauschalreisen auf ein wettbewerbswidriges
Niveau festgesetzt werden sollte.
Aufgrund dieser Beurteilung gelangt das Gericht erster Instanz zu der Feststellung,
dass die Entscheidung der Kommission hinsichtlich von Faktoren, die für
die Beurteilung der Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung
wesentlich seien, Beurteilungsfehler aufweise.
Das Gericht erster Instanz der EG stellt fest, dass die Kommission den
Zusammenschluss untersagt habe, ohne darzutun, dass er den Wettbewerb tatsächlich
beeinträchtigen würde, und erklärt die Entscheidung für
nichtig.
Hinweis: Gegen eine Entscheidung des Gerichts erster Instanz
der EG kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen
beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
eingelegt werden.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das das Gericht erster Instanz nicht bindet. Dieses Dokument ist in Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch
verfügbar. Wegen des vollständigen Wortlauts des Urteils konsultieren Sie
bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet
www.curia.eu.int . Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle
Phalippou, Filmaufnahmen der Urteilsverkündung sind verfügbar über
Europe by Satellite - Europäische Kommission, Presse-
und Informationsdienst, |