Abteilung Presse und Information


PRESSEMITTEILUNG N. 56/02


18. Juni 2002

Schlussanträge der Generalanwältin Christine Stix-Hackl in der Rechtssache C-244/00

v. Doren + Q. GmbH / lifestyle + sportswear Handelsgesellschaft mbH und Michael Orth

NACH ANSICHT DER GENERALANWÄLTIN IST DIE DEUTSCHE REGEL DES VOLLEN BEWEISES DER VORAUSSETZUNGEN EINER ERSCHÖPFUNG DES RECHTS AUS DER MARKE GEMEINSCHAFTSRECHTSWIDRIG.

Die Generalanwältin vertritt eine Teilung der Beweislast zwischen Markeninhaber und angeblichem Markenrechtsverletzer.


Nach der Gemeinschaftsrichtlinie über Marken gewährt eine eingetragene Marke ihrem Inhaber das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen. Allerdings verliert der Markeninhaber dieses Untersagungsrecht, sobald Waren unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum [EWR] (= 15 EU-Staaten, Liechtenstein, Island, Norwegen) in den Verkehr gebracht worden sind (sog. “Erschöpfung” des Rechts aus der Marke). Damit kommt dem Ort des ersten Inverkehrbringens der mit der Marke versehenen Ware mit Zustimmung des Markeninhabers eine besondere Bedeutung zu.

Die STUSSY Inc. in Irvine (Kalifornien) ist Inhaberin des Wort-/Bildzeichens .Stüssy“, eingetragen für Bekleidungsstücke. Die mit dieser Marke versehenen Waren werden weltweit vertrieben.

Die van Doren + Q. GmbH (in der Folge: Klägerin), Groß- und Einzelhändlerin für Bekleidung, ist Inhaberin der ausschließlichen Vertriebsrechte für Waren der STUSSY Inc. in Deutschland. Die STUSSY Inc. ermächtigte die Klägerin dazu, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gegen Dritte wegen Verletzung der Marke im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen. Es gibt, so die Klägerin, in allen Ländern des EWR jeweils nur einen Alleinvertriebsberechtigten (Generalimporteur) für .Stüssy“-Artikel, der vertraglich verpflichtet ist, die Ware nicht an Zwischenhändler zum Weitervertrieb außerhalb seines jeweiligen Vertragsgebiets abzugeben.

Die lifestyle + sportswear Handelsgesellschaft mbH - Geschäftsführer: Michael Orth - (in der Folge gemeinsam: die Beklagten), bringt .Stüssy“-Artikel in Deutschland auf den Markt, die sie nicht von der Klägerin bezogen hat.

Die Klägerin hat die Beklagten auf Unterlassung, Auskunftserteilung sowie auf Schadensersatz verklagt. Sie behauptet, bei den von den Beklagten vertriebenen Artikeln handle es sich um ursprünglich in den USA in Verkehr gebrachte Ware, deren Vertrieb in Deutschland oder in einem anderen EU-Mitgliedstaat die Markeninhaberin nicht zugestimmt habe. - Die Beklagten berufen sich auf die Erschöpfung der Marke. Sie hätten die Waren im EWR bezogen, wo diese von der Markeninhaberin bzw. mit deren Zustimmung in den Verkehr gebracht worden seien.


Im Falle dieses Parallelimports ist also unklar, an welchem Ort diese Originalwaren mit Zustimmung des Markeninhabers in den Verkehr gebracht worden sind.

Nach deutschem Beweisrecht muss der, der sich auf die Markenerschöpfung beruft, darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die von ihm vertriebene Ware zuvor erstmals bereits vom Markeninhaber selbst oder mit seiner Zustimmung im EWR in den Verkehr gebracht worden ist.

Diese Beweislastverteilung birgt jedoch die Gefahr, dass dem mit dem Hersteller nicht verbundenen Händler der Vertrieb von Markenware auch in den Fällen untersagt werden könnte, in denen die Ware mit Zustimmung des Berechtigten innerhalb des EWR in den Verkehr gebracht worden ist, und zwar vor folgendem Hintergrund: Ein Händler wird in der Regel darlegen können, von wem er die Ware erworben hat. Er kann aber seinen Lieferanten nicht dazu zwingen, ihm den Vorlieferanten zu nennen bzw. weitere Glieder in einer Absatzkette zu ermitteln. Doch auch wenn es ihm möglich wäre, den Absatzweg bis zum Markeninhaber zurückzuverfolgen und sogar darzulegen, dass die Ware mit Zustimmung des Berechtigten im EWR in Verkehr gebracht worden sei, könnte gerade damit seine Bezugsquelle für die Zukunft versiegen. Unter diesen Umständen besteht nämlich die Gefahr, dass der Markeninhaber die Marke dazu verwendet, die nationalen Märkte voneinander abzuschotten. D. h., dass die Auferlegung der vollen Beweislast den wegen Markenverletzung verklagten Wirtschaftsteilnehmer in ein Dilemma stürzt, weil es ihn vor die Wahl stellt, den Beweis unter
- zukünftigem - Verzicht auf seine Bezugsquellen anzutreten oder aber den Prozess zu verlieren, selbst wenn die betreffenden Waren gegebenenfalls durch den Markeninhaber oder mit seiner Zustimmung im EWR in Verkehr gebracht worden sind.

Vor diesem Hintergrund fragt im Verfahren STUSSY der inzwischen in letzter Instanz befasste deutsche Bundesgerichtshof, ob die deutsche Beweislastregel mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

Generalanwältin Stix-Hackl trägt heute ihre Schlussanträge vor.

Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Seine Aufgabe ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung für die Rechtssachen vorzuschlagen, mit denen er befasst ist.  

Die Generalanwältin untersucht zur Frage der Beweislast zunächst die Gemeinschaftsrichtlinie über die Marken. Da die Richtlinie nationale Verfahrensregeln grundsätzlich unberührt lassen soll, folgert die Generalanwältin eine Verfahrens-autonomie der Mitgliedstaaten, d. h., deren Recht, nationale Grundsätze der Beweislastverteilung zum Nachweis des Erschöpfungstatbestands anzuwenden. Diese Befugnis müsse allerdings die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Schranken respektieren. Insbesondere dürfe eine nationale Beweislastverteilung den durch die Richtlinie angestrebten Schutz der Rechte des Markeninhabers nicht in Frage stellen.

Die Gemeinschaftsrichtlinie stelle eine Konkretisierung des im EG-Vertrag verankerten Grundsatzes des freien Warenverkehrs dar, dessen Schutz der Erschöpfungsgrundsatz bezwecke.

Eine Regelung wie die deutsche, die einem vom Markeninhaber wegen Markenverletzung verklagten Wirtschaftsteilnehmer die volle Beweislast hinsichtlich der zur Erschöpfung führenden Umstände auferlegt, stürze diesen in das oben geschilderte Dilemma. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes diene das Markenrecht aber nicht dazu, dem Markeninhaber die Möglichkeit zu geben, die nationalen Märkte abzuschotten und dadurch die Beibehaltung der eventuellen Preisunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. Eine nationale Regelung wie die deutsche sei also eine Beschränkung des freien Warenverkehrs, wenn sie dem Markeninhaber diese Abschottungsmöglichkeit verschaffe.

Zur Frage einer möglichen Rechtfertigung dieser Beschränkung verweist die Generalanwältin auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach es nicht gerechtfertigt ist, den Parallelimporteur zu verpflichten, den Beweis mit Hilfe von ihm unzugänglichen Unterlagen zu führen, wenn die Verwaltung oder gegebenenfalls die Gerichte zur Auffassung kommen, dass er mit anderen Mitteln erbracht werdenkann. Vom beklagten Parallelimporteur kann also ein unzumutbarer und unmöglicher Beweis nicht verlangt werden.

Folglich ist, nach Ansicht der Generalanwältin, eine nationale Beweisregel, wie die deutsche, wegen der geschilderten Beweisschwierigkeiten mangels Rechtfertigung gemeinschaftsrechtswidrig.

Die Generalanwältin vertritt deshalb eine Modifizierung einer solchen nationalen Beweisregel mit dem Ziel einer ausgewogenen Verteilung des Prozessrisikos.

Die Beweislast für die Erschöpfungsvoraussetzungen sei im Sinne einer Mitwirkungspflicht des Markeninhabers zu teilen.

Eine Lösung, so die Generalanwältin, könnte darin bestehen, dass der Markeninhaber mit dem Nachweis der Lückenlosigkeit seines Vertriebssystems innerhalb des EWR belastet werde, wenn der Ort des erstmaligen Inverkehrbringens sich nicht aus anderen Aspekten, wie insbesondere aus der Beschaffenheit der Waren oder aus einer besonderen Kennzeichnung, deren Richtigkeit außer Streit stehe, ableiten lasse. Werde der nationale Richter von der Lückenlosigkeit des Vertriebssystems innerhalb des EWR überzeugt, so sei daraus zu schließen, dass die mit der Marke versehene Ware des Parallelimporteurs von außerhalb des EWR kommen müsse, mit der Folge, dass die Erschöpfung der Rechte aus der Marke für diese Ware nicht bereits aus ihrem - tatsächlich - ersten Inverkehrbringen durch den Markeninhaber oder mit seiner Zustimmung folge.

Nach Ansicht der Generalanwältin ist eine solche Mitwirkungspflicht des Markeninhabers geeignet, die Vereinbarkeit einer nationalen Beweisregel wie der deutschen mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs in Verbindung mit der Gemeinschaftsrichtlinie wiederherzustellen; eine solche Mitwirkungspflicht dürfe aber nur soweit gehen, wie dies erforderlich sei, um die Gefahr der Marktabschottung einerseits und/oder die Unzumutbarkeit der Beweisführung seitens des Inanspruchgenommenen andererseits abzuwenden. Die Generalanwältin betont jedoch, dass die konkrete Ausformung Sache der nationalen Verfahrensordnung bleibe.

Hinweis: Die Richter des Gerichtshofes der EG beginnen nun ihre Beratung in dieser Rechtssache. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.


Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument liegt in deutscher, englischer und französischer Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int 

Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou,
Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.