PRESSEMITTEILUNG N. 56/02
Die STUSSY Inc. in Irvine (Kalifornien) ist Inhaberin des Wort-/Bildzeichens
.Stüssy, eingetragen für Bekleidungsstücke. Die mit dieser
Marke versehenen Waren werden weltweit vertrieben.
Die van Doren + Q. GmbH (in der Folge: Klägerin), Groß-
und Einzelhändlerin für Bekleidung, ist Inhaberin der ausschließlichen
Vertriebsrechte für Waren der STUSSY Inc. in Deutschland. Die STUSSY Inc.
ermächtigte die Klägerin dazu, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche
gegen Dritte wegen Verletzung der Marke im eigenen Namen gerichtlich geltend
zu machen. Es gibt, so die Klägerin, in allen Ländern des EWR jeweils
nur einen Alleinvertriebsberechtigten (Generalimporteur) für .Stüssy-Artikel,
der vertraglich verpflichtet ist, die Ware nicht an Zwischenhändler zum
Weitervertrieb außerhalb seines jeweiligen Vertragsgebiets abzugeben.
Die lifestyle + sportswear Handelsgesellschaft mbH - Geschäftsführer:
Michael Orth - (in der Folge gemeinsam: die Beklagten), bringt .Stüssy-Artikel
in Deutschland auf den Markt, die sie nicht von der Klägerin bezogen hat.
Die Klägerin hat die Beklagten auf Unterlassung, Auskunftserteilung sowie
auf Schadensersatz verklagt. Sie behauptet, bei den von den Beklagten vertriebenen
Artikeln handle es sich um ursprünglich in den USA in Verkehr gebrachte
Ware, deren Vertrieb in Deutschland oder in einem anderen EU-Mitgliedstaat die
Markeninhaberin nicht zugestimmt habe. - Die Beklagten berufen sich auf die
Erschöpfung der Marke. Sie hätten die Waren im EWR bezogen, wo diese
von der Markeninhaberin bzw. mit deren Zustimmung in den Verkehr gebracht worden
seien.
Im Falle dieses Parallelimports ist also unklar, an welchem Ort diese Originalwaren
mit Zustimmung des Markeninhabers in den Verkehr gebracht worden sind.
Nach deutschem Beweisrecht muss der, der sich auf die Markenerschöpfung
beruft, darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die von ihm vertriebene Ware
zuvor erstmals bereits vom Markeninhaber selbst oder mit seiner Zustimmung im
EWR in den Verkehr gebracht worden ist.
Diese Beweislastverteilung birgt jedoch die Gefahr, dass dem mit dem
Hersteller nicht verbundenen Händler der Vertrieb von Markenware auch in
den Fällen untersagt werden könnte, in denen die Ware mit Zustimmung
des Berechtigten innerhalb des EWR in den Verkehr gebracht worden ist, und zwar
vor folgendem Hintergrund: Ein Händler wird in der Regel darlegen können,
von wem er die Ware erworben hat. Er kann aber seinen Lieferanten nicht dazu
zwingen, ihm den Vorlieferanten zu nennen bzw. weitere Glieder in einer Absatzkette
zu ermitteln. Doch auch wenn es ihm möglich wäre, den Absatzweg bis
zum Markeninhaber zurückzuverfolgen und sogar darzulegen, dass die Ware
mit Zustimmung des Berechtigten im EWR in Verkehr gebracht worden sei, könnte
gerade damit seine Bezugsquelle für die Zukunft versiegen. Unter diesen
Umständen besteht nämlich die Gefahr, dass der Markeninhaber die Marke
dazu verwendet, die nationalen Märkte voneinander abzuschotten. D. h.,
dass die Auferlegung der vollen Beweislast den wegen Markenverletzung
verklagten Wirtschaftsteilnehmer in ein Dilemma stürzt, weil es
ihn vor die Wahl stellt, den Beweis unter
- zukünftigem - Verzicht auf seine Bezugsquellen anzutreten oder aber den
Prozess zu verlieren, selbst wenn die betreffenden Waren gegebenenfalls durch
den Markeninhaber oder mit seiner Zustimmung im EWR in Verkehr gebracht worden
sind.
Vor diesem Hintergrund fragt im Verfahren STUSSY der inzwischen in
letzter Instanz befasste deutsche Bundesgerichtshof, ob die deutsche Beweislastregel
mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.
Generalanwältin Stix-Hackl trägt heute ihre Schlussanträge
vor.
Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Seine Aufgabe ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung für die Rechtssachen vorzuschlagen, mit denen er befasst ist. |
Die Gemeinschaftsrichtlinie stelle eine Konkretisierung des im EG-Vertrag
verankerten Grundsatzes des freien Warenverkehrs dar, dessen Schutz
der Erschöpfungsgrundsatz bezwecke.
Eine Regelung wie die deutsche, die einem vom Markeninhaber wegen Markenverletzung
verklagten Wirtschaftsteilnehmer die volle Beweislast hinsichtlich der
zur Erschöpfung führenden Umstände auferlegt, stürze diesen
in das oben geschilderte Dilemma. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes
diene das Markenrecht aber nicht dazu, dem Markeninhaber die Möglichkeit
zu geben, die nationalen Märkte abzuschotten und dadurch die Beibehaltung
der eventuellen Preisunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern.
Eine nationale Regelung wie die deutsche sei also eine Beschränkung
des freien Warenverkehrs, wenn sie dem Markeninhaber diese Abschottungsmöglichkeit
verschaffe.
Zur Frage einer möglichen Rechtfertigung dieser Beschränkung
verweist die Generalanwältin auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes,
wonach es nicht gerechtfertigt ist, den Parallelimporteur zu verpflichten, den
Beweis mit Hilfe von ihm unzugänglichen Unterlagen zu führen, wenn
die Verwaltung oder gegebenenfalls die Gerichte zur Auffassung kommen, dass
er mit anderen Mitteln erbracht werdenkann. Vom beklagten Parallelimporteur
kann also ein unzumutbarer und unmöglicher Beweis nicht verlangt werden.
Folglich ist, nach Ansicht der Generalanwältin, eine nationale Beweisregel,
wie die deutsche, wegen der geschilderten Beweisschwierigkeiten mangels Rechtfertigung
gemeinschaftsrechtswidrig.
Die Generalanwältin vertritt deshalb eine Modifizierung einer solchen
nationalen Beweisregel mit dem Ziel einer ausgewogenen Verteilung des Prozessrisikos.
Die Beweislast für die Erschöpfungsvoraussetzungen sei im Sinne
einer Mitwirkungspflicht des Markeninhabers zu teilen.
Eine Lösung, so die Generalanwältin, könnte darin bestehen,
dass der Markeninhaber mit dem Nachweis der Lückenlosigkeit seines Vertriebssystems
innerhalb des EWR belastet werde, wenn der Ort des erstmaligen Inverkehrbringens
sich nicht aus anderen Aspekten, wie insbesondere aus der Beschaffenheit der
Waren oder aus einer besonderen Kennzeichnung, deren Richtigkeit außer
Streit stehe, ableiten lasse. Werde der nationale Richter von der Lückenlosigkeit
des Vertriebssystems innerhalb des EWR überzeugt, so sei daraus zu schließen,
dass die mit der Marke versehene Ware des Parallelimporteurs von außerhalb
des EWR kommen müsse, mit der Folge, dass die Erschöpfung der Rechte
aus der Marke für diese Ware nicht bereits aus ihrem - tatsächlich
- ersten Inverkehrbringen durch den Markeninhaber oder mit seiner Zustimmung
folge.
Nach Ansicht der Generalanwältin ist eine solche Mitwirkungspflicht des
Markeninhabers geeignet, die Vereinbarkeit einer nationalen Beweisregel wie
der deutschen mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs in Verbindung mit der
Gemeinschaftsrichtlinie wiederherzustellen; eine solche Mitwirkungspflicht dürfe
aber nur soweit gehen, wie dies erforderlich sei, um die Gefahr der Marktabschottung
einerseits und/oder die Unzumutbarkeit der Beweisführung seitens des Inanspruchgenommenen
andererseits abzuwenden. Die Generalanwältin betont jedoch, dass die konkrete
Ausformung Sache der nationalen Verfahrensordnung bleibe.
Hinweis: Die Richter des Gerichtshofes der EG beginnen nun ihre Beratung
in dieser Rechtssache. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Dieses Dokument liegt in deutscher, englischer und französischer
Sprache vor. Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren
Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet
www.curia.eu.int Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle
Phalippou, |