PRESSEMITTEILUNG N. 85/02
Schlussanträge des Generalanwalts Dámaso Ruiz-Jarabo in der Rechtssache
C-385/99
Das niederländische System der Krankheitsfürsorge sieht nur die
Erbringung medizinischer Sachleistungen vor. Die Versicherten haben daher keinen
Anspruch auf Erstattung der ihnen entstandenen Krankheitskosten, sondern lediglich
auf kostenlose Fürsorge. Die niederländische Regelung verlangt, dass
ein Versicherter, der sich in einem anderen Mitgliedstaat einer ärztlichen
Behandlung unterziehen möchte, zuvor eine Genehmigung einholt. Eine der
Voraussetzungen für die Erteilung dieser Genehmigung besteht darin, dass
die Behandlung notwendig ist und nicht "rechtzeitig" von einem Arzt
erlangt werden kann, mit dem die Krankenkasse einen Vertrag geschlossen hat.
Frau Müller-Fauré, die in den Niederlanden wohnt, nutzte einen Urlaub
in Deutschland, um zum Zahnarzt zu gehen, ohne zuvor eine Genehmigung ihrer
niederländischen Krankenkasse eingeholt zu haben. Nach der Rückkehr
in die Niederlande beantragte sie die Erstattung der Behandlungskosten.
Frau Van Riet beantragte bei ihrer niederländischen Kasse die Übernahme
der Kosten für eine Arthroskopie in Belgien, da diese dort zu einem früheren
Termin als in den Niederlanden durchgeführt werden könne. Ohne eine
Antwort abzuwarten, unterzog sie sich im Nachbarland dieser Untersuchung und
einem operativen Eingriff.
In beiden Fällen wurde die Erstattung der Kosten mit der Begründung
abgelehnt, dass die erforderliche und geeignete ärztliche Behandlung in
den Niederlanden in einem angemessenen Zeitraum verfügbar gewesen sei.
Der Gerichtshof hat im Urteil Smits und Peerbooms vom 12. Juli 20011
anerkannt, dass die niederländische Regelung im Falle einer Krankenhausbehandlung
mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Eine der zulässigen Voraussetzungen
für die Versagung der Genehmigung besteht darin, dass die gleiche oder
eine für den Patienten ebenso wirksame Behandlung "rechtzeitig"
in einer Einrichtung erhältlich ist, mit der die Krankenkasse des Versicherten
einen Vertrag geschlossen hat.
Im Licht dieser Rechtsprechung ersucht das niederländische Gericht den
Gerichtshof der EG
- zu entscheiden, ob das Erfordernis einer vorherigen
Genehmigung gegen die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr
verstößt, wenn ein Versicherter in einem Sachleistungssystem ambulante
ärztliche Behandlung benötigt,
und
- den Begriff "rechtzeitig" auszulegen.
Die Ansicht des Generalanwalts
ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist
es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche
Lösung der von ihm bearbeiteten Rechtssachen vorzuschlagen.
Zur Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit den Gemeinschaftsbestimmungen
betreffend den freien Dienstleistungsverkehr
Der Generalanwalt folgt der Rechtsprechung des Gerichtshofes und führt
aus, dass das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung aufgrund der nationalen
Regelung eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs darstelle. Sodann
prüft er, ob ein Grund vorliegt, der diese Behinderung rechtfertigt und
im angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht.
Nach Ansicht des Generalanwalts ist die Notwendigkeit, eine vorherige Genehmigung
einzuholen, um sich auf Kosten eines Sachleistungssystems einer ambulanten Behandlung
zu unterziehen, aus den drei folgenden Gründen gerechtfertigt: erhebliche
Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit,
Aufrechterhaltung einer ausgewogenen, allen zugänglichen ärztlichen
und klinischen Versorgung sowie Erhaltung eines bestimmten Umfangs der medizinischen
und pflegerischen Versorgung im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung.
Daher stünden die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr
der Notwendigkeit, eine vorherige Genehmigung einzuholen, nicht entgegen, denn
diese sei objektiv gerechtfertigt.
Zur Auslegung des Begriffes "rechtzeitig" im Sinne der Rechtsprechung
des Gerichtshofes
Nach Ansicht des Generalanwalts muss die Beurteilung der Bedingung "rechtzeitig"
aus streng medizinischer Sicht und unabhängig von der Dauer der Wartezeit
für die erforderliche Behandlung vorgenommen werden. Er stützt
diese Ansicht darauf, dass der Gerichtshof in seinem oben erwähnten Urteil
vom 12. Juli 2001 ausschließlich medizinische Gründe genannt habe.
Hinweis: Die Richter des Gerichtshofes der EG
beginnen nun ihre Beratung in dieser Rechtssache. Das Urteil wird zu einem späteren
Zeitpunkt verkündet.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Dieses Dokument liegt in deutscher, englischer, französischer,
niederländischer und spanischer Sprache vor. Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren
Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet
www.curia.eu.int Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Herrn Konstantin Schmidt, |
1 - Rechtssache C-157/99, Slg. 2001, I-5473 (auch auf der Homepage des Gerichtshofes verfügbar: www.curia.eu.int ); siehe auch Pressemitteilung Nr. 32/2001.