Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG N. 87/02

25. Oktober 2002

Urteile des Gerichts erster Instanz in den Rechtssachen T-5/02 und T-80/02

    Tetra Laval BV / Kommission

DAS GERICHT ERKLÄRT DIE ENTSCHEIDUNG DER KOMMISSION, MIT DER DIESE DEN ZUSAMMENSCHLUSS ZWISCHEN TETRA LAVAL UND SIDEL UNTERSAGT HAT, UND DIE ENTSCHEIDUNG, MIT DER ALS FOLGE DAVON IHRE TRENNUNG ANGEORDNET WORDEN IST, FÜR NICHTIG.

Die wirtschaftliche Analyse der unmittelbaren wettbewerbsschädigenden Folgen und der Konglomeratwirkungen sowie die Prognose über das Verhalten der betreffenden Unternehmen beruhen auf unzureichenden Beweisen und einer Reihe offensichtlicher Begründungsfehler.

Dagegen wird das Vorbringen von Tetra Laval zurückgewiesen, soweit eine Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht gerügt wird.


Das Gericht erster Instanz erlässt im beschleunigten Verfahren innerhalb einer Frist von neun Monaten zwei Urteile auf die Klagen der Gruppe Tetra Laval BV, des Weltmarktführers im Bereich der Kartonverpackungen. Diese Klagen richten sich zum einen gegen das von der Kommission ausgesprochene Verbot des Zusammenschlusses der französischen Tochtergesellschaft der Gruppe Tetra Laval mit dem französischen Unternehmen Sidel, das hauptsächlich auf dem Gebiet der Konzeption und Herstellung von PET Polyäthylenterephtalat)-Anlagen und -Flaschen tätig ist, und zum anderen gegen eine zweite Entscheidung der Kommission, mit der diese als Folge davon die Trennung der beiden Unternehmen angeordnet hat.

Der Zusammenschluss betrifft den industriellen Sektor der Verpackungen für Flüssiglebensmittel. Er könnte der Kommission zufolge schädliche Auswirkungen auf den Wettbewerb auf mehreren Märkten haben: dem für bestimmte PET-Verpackungsmaschinen, auf dem Sidel eine führende Stellung habe, dem für Maschinen zur Herstellung von aseptischen Kartonverpackungen und für aseptische Kartonverpackungen, auf dem Tetra Laval eine beherrschende Stellung habe, sowie dem für HDPE (ein Kunststoff auf der Basis von hochverdichtetem Polyäthylen) und Maschinen, die Verpackungen aus diesem Material herstellen.

In dem Urteil, mit dem die erste Entscheidung für nichtig erklärt wird, stellt das Gericht fest, entgegen dem Vorbringen von Tetra Laval habe die Kommission das Recht auf Akteneinsicht nicht verletzt.

In der Sache dagegen gibt das Gericht den Anträgen von Tetra Laval statt.

Das Gericht führt zunächst aus, die Kommission habe die wettbewerbsschädigenden Folgen eines Zusammenschlusses auf den von ihr bezeichneten Märkten überschätzt, soweit sie ihr Verbot zumindest teilweise mit horizontalen (die Kontrolle der PET-Anlagen durch die fusionierte Einheit) und vertikalen (Gefahr der Bildung einer integrierten vertikalen Struktur) Wirkungen rechtfertige, die sich unmittelbar aus dem Zusammenschluss ergäben.

Das Gericht äußert sich sodann zur Analyse der Konglomeratwirkungen, d. h. zu den Wirkungen aufgrund des Zusammenschlusses von Unternehmen, die im wesentlichen auf verschiedenen Märkten (Karton und PET) tätig sind und nicht in unmittelbarem Wettbewerb miteinander stehen.

Zur Begründung des von ihr beschlossenen Verbots macht die Kommission im Wesentlichen geltend, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Zusammenschluss in Zukunft wettbewerbsschädigende Folgen haben werde. Die Gründe hierfür seien die Hebelwirkung, die Ausschaltung des potenziellen Wettbewerbs und die Verstärkung der wettbewerblichen Stellung der neu geschaffenen Einheit.

Hierzu führt das Gericht aus, dass die Prüfung der Konglomeratwirkungen, die durch eine neue Struktur ausgelöst würden, bei der Beurteilung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses durch die Kommission zulässig sei. Es teilt aber nicht die Schlussfolgerungen, zu denen die Kommission in dieser Rechtssache gelangt.

Was die Hebelwirkung betreffe, so gehe die Kommission davon aus, dass sich die gegenwärtigen Überschneidungen der betreffenden Märkte über kurz oder lang bestätigen würden, so dass Tetra Laval unter Ausnutzung ihrer beherrschenden Stellung auf dem Kartonmarkt wahrscheinlich einige ihrer jetzigen Kunden dazu veranlassen werde, soweit sie es wünschten, auf die Verpackung ihrer Waren in PET durch von Sidel hergestellte Anlagen umzusteigen. Das Gericht stellt fest, dass grundsätzlich die Durchführung des Zusammenschlusses eine solche Hebelwirkung ermöglichen könnte. Die Kommission habe aber nicht nachgewiesen, dass die neue Einheit das Bedürfnis haben werde, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.

Das Gericht führt u. a. aus, die Prognosen der Kommission, wonach mit einem starken Wachstum des PET-Marktes zu rechnen sei, träfen nicht zu, und zwar schon deshalb nicht, weil das Segment der flüssigen Molkereierzeugnisse (FME) sie entkräfte und weil die Analysen in Bezug auf Fruchtsäfte zu unvollständig seien, um die Behauptung zu belegen, dass die gegenwärtigen Glasbehältnisse durch andere Verpackungen ersetzt würden, die eher aus PET als aus Karton oder HDPE bestünden. Auch hinsichtlich der Prüfung der Formen, in denen von der Hebelwirkung Gebrauch gemacht werden könnte und die der neuen Einheit von den Märkten für aseptischen Karton aus bis zum Jahr 2005 eine beherrschende Stellung auf den verschiedenen Märkten für PET-Anlagen verschaffen würden, sei das Vorbringen der Kommission nicht überzeugend. In Bezug auf die so genannten Streckblasmaschinen1 hoher Kapazität, bei denen Sidel besonders führend sei, weise die Entscheidung verschiedene Analysemängel (insbesondere bei Bier und Säften) und Begründungsfehler hinsichtlich der Ausgrenzung der Wettbewerber und der Zwischenverbraucher (Verarbeiter) auf.

Zur Ausschaltung des potenziellen Wettbewerbs auf den Märkten für aseptischen Karton durch die auf den Märkten für PET-Anlagen tätigen Unternehmen stellt das Gericht fest, dass es für die Schlussfolgerung der Kommission, wonach die beherrschende Stellung von Tetra Laval verstärkt werde, keine ausreichenden Beweise gebe.

Da es sich bei der Verstärkung der Marktstellung der aus dem Zusammenschluss hervorgegangenen Einheit um einen Gesichtspunkt handele, der nicht von der Hebelwirkung und der Ausschaltung des potenziellen Wettbewerbs getrennt werden könne, weist das Gericht das entsprechende Vorbringen der Kommission in Anbetracht der bereits getroffenen Feststellungen zurück.

Was die Rechtssache T-80/02 angeht, die sich auf die zweite Entscheidung der Kommission bezieht, mit der diese die Trennung von Tetra Laval und Sidel angeordnet hat und deren Rechtsgrundlage die Entscheidung über das Verbot des Zusammenschlusses ist, so führt die Nichtigerklärung der zuletzt genannten Entscheidung folgerichtig zur Nichtigerklärung der zweiten Entscheidung, die keine Grundlage mehr hat.


Hinweis: Gegen die Entscheidungen des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eingelegt werden.


Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument,
das das Gericht erster Instanz nicht bindet.

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1 -     Bei der Herstellung von PET-Flaschen verwendete Maschinen zum Strecken, Blasen und Formen.