Abteilung Presse und Information


PRESSEMITTEILUNG N. 90/02

7. November 2002

Schlussanträge des Generalanwalts Dámaso Ruíz-Jarabo in der Rechtssache C-182/01


Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH / Werner Jäger


NACH AUFFASSUNG DES GENERALANWALTS KANN NICHT VERLANGT WERDEN, DASS ALLE LANDWIRTE DER GEMEINSCHAFT ERKLÄREN MÜSSEN, OB SIE DAS ERNTEERZEUGNIS JEDER EINZELNEN DER ZAHLREICHEN EINGETRAGENEN PFLANZENSORTEN VERWENDET HABEN

Generalanwalt Ruíz-Jarabo ist der Ansicht, dass eine von Sortenschutzinhabern zu dem Zweck der Sicherung ihrer Rechte im Zusammenhang mit dem Landwirteprivileg gebildete Gesellschaft mit beschränkter Haftung nicht im Namen von Sortenschutzinhabern tätig werden kann, denen die Gesellschaftereigenschaft fehlt.


Das gemeinschaftliche System des Sortenschutzes wird durch eine Verordnung von 1994 geregelt. Ihr Zweck ist der Schutz der Rechte des Sortenschutzinhabers. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass die Landwirte auf ihren Flächen das Ernteerzeugnis einer geschützten Sorte aussäen, ohne dass die Erlaubnis des Sortenschutzinhabers erforderlich ist. Diese Ausnahme trägt die Bezeichnung "Landwirteprivileg" und ist nur auf Futter-, Öl- und Faserpflanzen, Getreide und Kartoffeln anwendbar.

Eine Verordnung von 1995 regelt die Durchführung dieses Privilegs und verpflichtet die Landwirte, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, dem Inhaber des Sortenschutzes eine angemessene Entschädigung zu zahlen, die jedoch niedriger ist als die, die für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial derselben Sorten in Lizenz verlangt wird. Diese Verordnung regelt auch die Auskunftspflicht des Landwirts im Hinblick auf die Entschädigung des Inhabers und erlaubt einer in der Gemeinschaft ansässigen Organisation von Sortenschutzinhabern, gegenüber dem Landwirt die Ansprüche aus dem genannten Privileg geltend zu machen.

Die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH, eine deutsche Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Aufgabe die Geltendmachung der wirtschaftlichen Interessen der Sortenschutzinhaber ist, meint, dass Herr Jäger, ein deutscher Landwirt, sie darüber zu informieren habe, ob er im Wirtschaftsjahr 1997/98 vom Landwirteprivileg Gebrauch gemacht habe. Das Oberlandesgericht Düsseldorf legt dem Gerichtshof verschiedene Fragen zur Vorabentscheidung vor:

i)    Welche Landwirte werden von der Auskunftspflicht erfasst und

ii)    kann eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die aus Sortenschutzinhabern besteht, die aus dem Landwirteprivileg abgeleiteten Rechte im Namen von Sortenschutzinhabern geltend machen, die keine Gesellschafter sind?



Generalanwalt Ruíz-Jarabo stellt heute seine Schlussanträge.

Die Auffassung des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der Generalanwälte ist es, dem Gerichtshof in voller Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten.

Zu der Frage, welche Landwirte verpflichtet sind, Auskunft zu erteilen

Generalanwalt Ruíz-Jarabo weist ausgehend von den in einer ähnlichen Rechtssache1 vorgebrachten Argumenten darauf hin, dass die Verordnung von 1994 die Errichtung eines gemeinschaftlichen Sortenschutzes zum Gegenstand habe. Daher bezögen sich ihre Bestimmungen, wenn sie den Landwirt erwähnten, allein auf solche, die in ihren Betrieben geschützte Pflanzensorten verwendeten.

Ebenso lege die Verordnung von 1995 bei der Regelung des Landwirteprivilegs fest, dass vom Landwirt nur Auskunft verlangt werden könne, nachdem er bewusst eine geschützte Pflanzensorte gekauft habe, und sie erlege dem Sortenschutzinhaber beim An- und Verkauf des Saatguts Verpflichtungen auf.

Der Generalanwalt akzeptiert das von der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH vorgebrachte Argument hinsichtlich der Unmöglichkeit, dass die Sortenschutzinhaber in jedem Fall nachweisen, ob die Landwirte auf ihren Flächen vom Landwirteprivileg Gebrauch machen. Er ist jedoch der Auffassung, dass die Sortenschutzinhaber Vorkehrungen treffen könnten, um über die Vermittler und Lieferanten von Saatgut ständig darüber informiert zu werden, wer Vermehrungsmaterial erwirbt. Auf diese Weise könnten sie ihre Auskunftsersuchen mit größerem Erfolg stellen.

Aus alldem leitet Generalanwalt Ruíz-Jarabo ab, dass nicht verlangt werden könne, dass alle Landwirte der Gemeinschaft für jede einzelne der zahlreichen eingetragenen Pflanzensorten erklären müssten, ob sie das Ernteerzeugnis verwendet hätten.

Zu der Frage, ob eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung die aus dem Landwirteprivileg abgeleiteten Rechte im Namen von Inhabern geltend machen kann, die keine Gesellschafter sind

Generalanwalt Ruíz-Jarabo ist der Auffassung, dass der Begriff “Organisation von Sortenschutzinhabern” in der Verordnung von 1995 so weit sei, dass man sagen könnte, der Gemeinschaftsgesetzgeber habe die Gesamtheit der verbandsmäßigen Gebilde, die in den Mitgliedstaaten existierten, einbeziehen wollen, wenn und soweit sie alle Bedingungen der Bestimmung erfüllten.

Nach Auffassung des Generalanwalts müssen die Mitglieder dieser Organisationen Sortenschutzinhaber sein und können nur durch sie vertreten werden, wenn sie sie schriftlich dazu bevollmächtigt haben. Außerdem könne die Organisation, wenn sie die Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung einnehme, nur im Namen ihrer Gesellschafter handeln. Er weist daher für eine Person, die nicht Gesellschafter ist, die Möglichkeit zurück, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in diesem Fall die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH, gegen Entgelt damit zu beauftragen, die Rechte hinsichtlich des Landwirteprivilegs geltend zu machen.


Hinweis: Die Richter des Gerichtshofes der EG beginnen nun ihre Beratung in dieser Rechtssache. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.



Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument,
das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument ist in Deutsch, Spanisch und Italienisch verfügbar.

Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr
unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int 

Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Herrn Konstantin Schmidt,
Tel.: (0 03 52) 43 03-32 55; Fax: (0 03 52) 43 03-27 34.
 

1 -     Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Ruíz-Jarabo vom 21. März 2002 in der Rechtssache C-305/00 (Schulin, Pressemitteilung Nr. 31/02). Beide Dokumente können auf der Webseite des Gerichtshofes (www.curia.eu.int ) eingesehen werden.