Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG N. 01/03

14. Januar 2003

Schlussanträge des Generalanwalts Philippe Léger in der Rechtssache C-280/00

Altmark Trans GmbH, Regierungspräsidium Magdeburg / Nahverkehrsgesellschaft Altmark GmbH    

NACH ANSICHT DES GENERALANWALTS LÉGER IST DIE FINANZIERUNG ÖFFENTLICHER DIENSTLEISTUNGEN EINE BEIHILFE IM SINNE DES GEMEINSCHAFTSRECHTS


Der Generalanwalt ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten ihre Finanzierungsvorhaben grundsätzlich bei der Kommission anmelden müssen und sie ohne deren vorherige Genehmigung nicht durchführen dürfen. Der Generalanwalt weist darauf hin, dass dieser Kontrollmechanismus nicht geeignet ist, den Betrieb der öffentlichen Dienstleistungen zu stören.


Die Frage der Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen ist gegenwärtig Gegenstand mehrerer beim Gerichtshof anhängiger Rechtssachen.

Angesichts der Bedeutung des Problems hat der Gerichtshof beschlossen, für die Beantwortung einer von einem deutschen Gericht vorgelegten Frage ein außergewöhnliches Verfahren anzuwenden.

In der Rechtssache geht es um die öffentliche Dienstleistung der Beförderung mit Omnibussen im deutschen Landkreis Stendal. 1994 erteilte der Landkreis der Altmark Trans GmbH Genehmigungen zur Beförderung und gewährte Zuschüsse, die die Kosten ihrer Aufgabe der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen decken sollten. Ein mit ihr im Wettbewerb stehendes Unternehmen (die NVGA) erhob Klage bei den deutschen Gerichten und trug vor, dass die Altmark Zuschüsse erhalte, die mit den Gemeinschaftsvorschriften über staatliche Beihilfen unvereinbar seien. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Gerichtshof gebeten, sich zur Rechtsnatur dieser Zuschüsse zu äußern.

Die Altmark Trans GmbH und die NVGA haben dem Gerichtshof in einer ersten Sitzung Ende 2001 ihre Argumente vorgetragen. Angesichts der Bedeutung des Problems hat der Gerichtshof jedoch beschlossen, eine zweite Sitzung anzuberaumen, und sämtliche Mitgliedstaaten sowie den Rat und die Kommission gebeten, ihren Standpunkt darzulegen.

Generalanwalt Léger stellt heute seine zweiten Schlussanträge in dieser Rechtssache1.

Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung der von ihm bearbeiteten Rechtssachen vorzuschlagen.  

Nach Ansicht des Generalanwalts handelt es sich bei der staatlichen Finanzierung der öffentlichen Dienstleistungen um eine Beihilfe im Sinne des Vertrages. Seiner Meinung nach unterliegt diese Finanzierung normalerweise dem gemeinschaftsrechtlichen Mechanismus zur Kontrolle von Beihilfen. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich ihre Finanzierungsvorhaben bei der Kommission anmelden müssen und sie ohne vorherige Genehmigung durch diese nicht durchführen dürfen.

In der Sitzung haben einige Mitgliedstaaten vorgetragen, dass dieser Kontrollmechanismus den Betrieb der öffentlichen Dienstleistungen gefährden könne. Diese Staaten vertreten die Ansicht, dass das Verfahren zur Überprüfung der Beihilfen relativ langwierig und es für bestimmte Arten von öffentlichen Dienstleistungen schwierig sei, die Genehmigung durch die Kommission abzuwarten.

Der Generalanwalt prüft dieses Vorbringen eingehend. Er erläutert, dass der Mechanismus zur Kontrolle der Beihilfen den Betrieb der öffentlichen Dienstleistungen aus mehreren Gründen nicht beeinträchtigen kann.

Der Generalanwalt weist erstens darauf hin, dass die Vorschriften des Vertrages nur für Beihilfen gelten, die an Einrichtungen gezahlt werden, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Demzufolge darf die Finanzierung bestimmter Kernbereiche des Staates, wie der Systeme der obligatorischen sozialen Sicherung oder der obligatorischen Ausbildung, von der Kommission nicht geprüft werden.

Zweitens hat die Kommission bei meldepflichtigen Finanzierungen eine Vorprüfung der Beihilfe innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Anmeldung durchzuführen. Äußert sich die Kommission innerhalb dieser Frist nicht, können die Mitgliedstaaten die Finanzierung gewähren, ohne die Genehmigung durch die Kommission abzuwarten. Außerdem sieht der Vertrag für Fälle von besonderer Dringlichkeit eine Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten vor, die es ermöglichen sollte, derartige Fälle vorrangig zu behandeln.

Drittens kann die Kommission eine "Gruppenfreistellungsverordnung" erlassen. In solchen Verordnungen werden die Voraussetzungen festgelegt, unter denen bestimmte Gruppen von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind. Die im Einklang mit diesen Verordnungen gewährten Beihilfen sind von der Anmeldepflicht ausgenommen. Erlässt die Kommission eine solche Verordnung, können die Mitgliedstaaten somit die Finanzierung der öffentlichen Dienstleistungen durchführen, ohne eine Genehmigung durch die Kommission abwarten zu müssen.

Demnach ist der Generalanwalt der Ansicht, dass der gemeinschaftsrechtliche Mechanismus zur Kontrolle von Beihilfen (durch Einzelentscheidung oder durch Freistellungsverordnung) der Qualität und der Erbringung der öffentlichen Dienstleistungen in den Mitgliedstaaten nicht schaden kann.


Hinweis: Die Richter des Gerichtshofes der EG treten nun in die Beratung dieser Rechtssache ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.



Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument liegt in französischer, deutscher, englischer, spanischer und italienischer Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int 

Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Herrn Konstantin Schmidt,
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Filmaufnahmen der Verlesung der Schlussanträge sind verfügbar über
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1 -     Generalanwalt Léger hat seine ersten Schlussanträge am 19. März 2002 im Anschluss an die erste Sitzung gestellt.