Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG Nº 06/03

6. Februar 2003

Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo in den verbundenen Rechtssachen C-463/00 und C-98/01

Kommission/Spanien und Kommission/Vereinigtes Königreich

DER GENERALANWALT SCHLÄGT DEM GERICHTSHOF VOR, IN DER FRAGE DER SO GENANNTEN "GOLDEN SHARES" DIE KLAGE GEGEN SPANIEN ABZUWEISEN UND DER KLAGE GEGEN DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH STATTZUGEBEN



Generalanwalt Ruiz-Jarabo spricht sich für eine Entscheidung aus, wonach die Mitgliedstaaten die Möglichkeit behalten, die Eigentumsordnung für Unternehmen zu regeln, soweit Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten dadurch nicht diskriminiert werden.


Die Kommission erhob in den Jahren 2000 und 2001 gegen Spanien und das Vereinigte Königreich Klagen wegen Verletzung der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs. In beiden Ländern bestehen Regelungen, die bestimmte Handlungen von Unternehmen, die strategischen Wirtschaftszweigen angehören und privatisiert wurden, von einer vorherigen behördlichen Genehmigung abhängig machen. Diese Rechte der öffentlichen Verwaltung werden gemeinhin "Golden shares" genannt.

Die spanische Regelung: Das Gesetz 5/1995 zur Regelung der Veräußerung von öffentlichen Anteilen an bestimmten Unternehmen legt die Voraussetzungen fest, unter denen verschiedene Unternehmen der öffentlichen Hand privatisiert werden können. Mit diesem Gesetz und zu seiner Durchführung erlassenen Königlichen Dekreten wurden Unternehmen wie Repsol (Öl und Energie), Telefónica (Telekommunikation), Argentaria (Bank), Tabacalera (Tabak) und Endesa (Elektrizität) einer Regelung unterstellt, wonach wichtige gesellschaftsrechtliche Beschlüsse (Auflösung, Spaltung, Verschmelzung, Änderung des Gesellschaftszwecks, Veräußerung von Vermögensgegenständen oder Kapitalanteilen) der vorherigen behördlichen Genehmigung bedürfen.

Die britische Regelung: Durch die Satzung der British Airports Authority plc (BBA), der die internationalen Flughäfen des Vereinigten Königreichs gehören und die infolge der Privatisierung nunmehr als private Gesellschaft betrieben wird, wurde eine Sonderaktie zugunsten der Regierung geschaffen, mit der dieser die Befugnis zur Genehmigung bestimmter gesellschaftsrechtlicher Handlungen (Auflösung der Gesellschaft, Veräußerung eines Flughafen) eingeräumt wird. Die Satzung verbietet außerdem Aktienerwerbe, mit denen der Erwerber mehr als 15 % des stimmberechtigten Gesellschaftskapitals erlangen würde.

Am 4. Juni 2002 erließ der Gerichtshof im Fall von Klagen, die gegen Portugal, Frankreich und Belgien erhoben worden waren, drei Urteile1 zu den so genannten Golden shares, in denen er feststellte:

)    Eine Eingriffsregelung, die auf einer vorherigen behördlichen Genehmigung oder auf Vetorechten beruht, bildet eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs, da sie den Erwerb von Anteilen an den betreffenden Unternehmen verhindern und Anleger aus anderen Mitgliedstaaten von Investitionen abhalten kann. Ein solches Hindernis für den freien Kapitalverkehr beeinträchtigt zugleich die Niederlassungsfreiheit.
)    Derartige Beschränkungen sind zulässig, wenn sie keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit bewirken, aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und angesichts des verfolgten Ziels verhältnismäßig sind (sie sind deshalb nachträglich zu erlassen und müssen auf objektive, im Voraus bekannte Kriterien gestützt sowie gerichtlich nachprüfbar sein). Nach Auffassung des Gerichtshofes wurde nur die belgische Regelung diesen Anforderungen gerecht.

Generalanwalt Ruiz-Jarabo trägt heute seine Schlussanträge in der spanischen und der britischen Rechtssache vor.

Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung der von ihm be a rbeiteten Rechtssache n vorzuschlagen.  

Generalanwalt Ruiz-Jarabo verweist auf den Artikel des EG-Vertrags, wonach der EG-Vertrag die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt lässt, und regt gegenüber dem Gerichtshof an, die Anwendung dieser Vertragsbestimmung auf die Regelungen, mit denen Sonderaktien zugunsten des Staates geschaffen werden, zu überdenken. Er betont, dass ein Staat die Möglichkeit habe, bestimmte Wirtschaftspolitiken durchzusetzen, die sich von dem die private Wirtschaft kennzeichnenden Streben nach maximalem Gewinn unterschieden. Deshalb müsse eine nationale Maßnahme, die das System der Entscheidungsfindung im öffentlichen Sektor berühre, als mit dem Vertrag vereinbar betrachtet werden, sofern nicht bewiesen werde, dass diese Maßnahme in nicht gerechtfertigter Weise diskriminierend ausgeübt werde.

Der Generalanwalt erörtert sodann die Anwendung der oben genannten Urteile vom 4. Juni 2002 auf die vorliegenden Rechtssachen.

Rechtssache Kommission/Spanien: Der Generalanwalt ist der Ansicht, dass die spanische und die belgische Regelung einander in vieler Hinsicht ähnlich seien:

)    Auch mit der spanischen Regelung würden zwingende Gründe des Allgemeininteresses wie die Sorge um die Sicherheit der Versorgung, die wirtschaftliche und soziale Solidarität und der Schutz der Verbraucherinteressen verfolgt.
)    Nach beiden Regelungen müsse die Verwaltung ihren etwaigen Widerspruch innerhalb einer kurzen Frist erheben und dieser unterliege der gerichtlichen Kontrolle.

Folgende Unterschiede bestünden zwischen den beiden Regelungen:

)    Der sachliche Anwendungsbereich der spanischen Regelung sei weiter, was allerdings die Objektivität und Genauigkeit der für die Genehmigung maßgebenden Kriterien unberührt lasse.
)    Außerdem weise die spanische Regelung ein besonderes Merkmal auf, das sie von anderen, ähnlich gelagerten Rechtssachen vor dem Gerichtshof unterscheide, nämlich ihren Charakter als bloße Übergangsregelung. So träten sämtliche Königliche Dekrete nach einer bestimmten Frist außer Kraft, was bestätige, dass es sich um eine Ausnahmeregelung handele, die für einen Privatisierungsprozess geschaffen worden sei.

Der Generalanwalt kommt zu dem Ergebnis, dass die möglichen Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs, die sich aus der spanischen Regelung ergäben, gerechtfertigt und angesichts des verfolgten Ziels verhältnismäßig seien. Er schlägt daher vor, die Klage der Kommission gegen Spanien abzuweisen.

Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich: Nach Ansicht des Generalanwalts ist keines der Kriterien erfüllt, die der Gerichtshof bei der Prüfung der belgischen Regelung aufgestellt habe, da die Entscheidungen, die die öffentliche Verwaltung auf der Grundlage der Sonderaktie treffen könne, keinen bestimmten Voraussetzungen unterlägen und gerichtlich nicht nachprüfbar seien. Der Generalanwalt kommt daher zu dem Ergebnis, dass die britische Regelung gegen den freien Kapitalverkehr verstoße.

Hinweis: Die Richter des Gerichtshofes treten nun in die Beratung dieser Rechtssache ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument liegt in spanischer, deutscher, französischer, englischer und italienischer Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int 

Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Herrn Konstantin Schmidt,
Tel.: (00352) 4303-3255, Fax: (00352) 4303-2734.