Abteilung Presse und Information
PRESSEMITTEILUNG N1 104/03
25. November 2003
Schlussanträge der Generalanwältin Christine Stix-Hackl im Vorabentscheidungsverfahren C-222/02
Peter Paul u .a. / Bundesrepublik Deutschland
NACH ANSICHT DER GENERALANWÄLTIN VERLEIHT KEINE DER BANKENRECHTLICHEN RICHTLINIEN EINZELNEN DAS RECHT, VON
DER BANKENAUFSICHT DAS SETZEN GEEIGNETER AUFSICHTSMASSNAHMEN ZU VERLANGEN UND SIE BEI FEHLVERHALTEN DAFÜR
HAFTBAR ZU MACHEN
Die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme stelle für alle Fälle der Nichtverfügbarkeit von Einlagen eine
abschließende Sonderregelung dar
Herr Peter Paul u.a. hatten Festgeldkonten bei der Bank in der Höhe von
insgesamt ca. 300 000 DM (ca. 150 000 Euro). Für den Fall, dass Einlagen nicht
verfügbar sind, bestimmt die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme, dass die Gesamtheit der Einlagen eines
Einlegers bis zu einem Betrag von 20 000 Euro abgedeckt wird. Das Landgericht Bonn
hat jedem der Kläger wegen verspäteter Umsetzung dieser Richtlinie diesen Betrag zugesprochen. Diese
begehren allerdings von der Bundesrepublik Deutschland Ersatz ihres darüber hinausgehenden Schadens mit der
Begründung, dass das Bundesaufsichtsamt seiner Verpflichtung zur Bankenaufsicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei.
Der in letzter Instanz angerufene Bundesgerichtshof ersucht den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften um
Entscheidung, ob Einlegern durch die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme oder andere bankenrechtliche Richtlinien das
Recht verliehen wird, von der Bankenaufsicht das Setzen geeigneter Aufsichtsmaßnahmen zu verlangen. Des
Weiteren geht es um die Tragweite des Grundsatzes der Haftung des Staates für
Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen.
Generalanwältin Christine Stix-Hackl trägt heute ihre Schlussanträge in dieser Rechtssache vor.
Was die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme betrifft, kommt die Generalanwältin zunächst zu dem Schluss,
dass die Bestimmungen betreffend Aufsichtsmaßnahmen in dieser Richtlinie nicht inhaltlich unbedingt und hinreichend
genau seien, um den Einlegern das Recht zu verleihen, dass die zuständigen Behörden
von den darin erwähnten Maßnahmen Gebrauch machen.
Bei ihrer Prüfung kommt die Generalanwältin weiters zu dem Schluss, dass im Rahmen
der Staatshaftung aufgrund des Fehlens der dafür erforderlichen Voraussetzungen kein Entschädigungsanspruch für Schäden
eröffnet sei, die dem einzelnen Einleger durch die Unterlassung der zuständigen Behörde, die
in dieser Richtlinie angeführten Maßnahmen zu ergreifen, entstanden sind, und die über den
in der Sonderregelung des Artikels 7 der Richtlinie genannten Schadenersatz hinausgehen.
Betreffend die anderen bankenrechtlichen Richtlinien weist die Generalanwältin darauf hin, dass weder aus
ihrer Zielsetzung noch aus ihrem Wortlaut hervorgehe, dass der einzelne Einleger ein Recht
auf Durchführung von Aufsichtsmaßnahmen haben solle.
Zwar erwähnen mehrere von den bankenrechtlichen Richtlinien in ihren Erwägungsgründen den Schutz der
Anleger, die Generalanwältin hebt jedoch hervor, dass die Wirkung von Erwägungsgründen nicht so
weit reiche, dass ein Einzelner daraus Rechte ableiten könne.
Die Generalanwältin kommt deshalb zum Ergebnis, dass auch keine der anderen bankenrechtlichen Richtlinien
Einzelnen das Recht verleihe, von den zuständigen Behörden das Wahrnehmen von Aufsichtsmaßnahmen zu
verlangen und bei Fehlverhalten dafür Schadenersatz zu erlangen. Die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme stelle
für alle Fälle der Nichtverfügbarkeit von Einlagen eine abschließende Sonderregelung dar, zumal nur
diese Richtlinie dem Einleger ein ausdrückliches Recht auf Schadenersatz einräume, das vor nationalen
Gerichten durchgesetzt werden könne.
Hinweis: Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des
Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende
Rechtssache zu unterbreiten. Der Gerichtshof tritt nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil
wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
Dieses Dokument ist in folgenden Sprachen verfügbar: DE, EN, FR, ES, IT. Den vollständigen Wortlaut der Schlussanträge finden Sie heute ab ca. 12.00 Uhr MEZ auf unserer Homepage (www.curia.eu.int ). Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Isabelle Phalippou, Tel: (00352) 4303 3255, Fax: (00352) 4303 2734. |
Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 1994
über Einlagensicherungssysteme (ABl. L 135, S. 5).