Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG N1 104/03

25. November 2003

Schlussanträge der Generalanwältin Christine Stix-Hackl im Vorabentscheidungsverfahren C-222/02

Peter Paul u .a. / Bundesrepublik Deutschland

NACH ANSICHT DER GENERALANWÄLTIN VERLEIHT KEINE DER BANKENRECHTLICHEN RICHTLINIEN EINZELNEN DAS RECHT, VON DER BANKENAUFSICHT DAS SETZEN GEEIGNETER AUFSICHTSMASSNAHMEN ZU VERLANGEN UND SIE BEI FEHLVERHALTEN DAFÜR HAFTBAR ZU MACHEN

Die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme stelle für alle Fälle der Nichtverfügbarkeit von Einlagen eine abschließende Sonderregelung dar


Im Jahre 1987 hatte die BVH Bank vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen die Erlaubnis zum Betreiben von Bankgeschäften unter der Auflage erhalten, das Einlagengeschäft nur dann zu betreiben, wenn eine Mitgliedschaft in der Sicherungseinrichtung eines Verbandes der Kreditinstitute bestehe, und so lange dies nicht der Fall sei, die Kunden über das Nichtbestehen einer Sicherungseinrichtung zu informieren. Die Bank bewarb sich in den Jahren 1987 bis 1992 vergeblich um die Aufnahme in den Einlagensicherungsfonds, danach betrieb sie das Aufnahmeverfahren nicht mehr, da sie die Aufnahmevorraussetzungen nicht erfüllte. Die schwierige Vermögenssituation der Bank veranlasste das Bundesaufsichtsamt zu verschiedenen Sonderprüfungen, und im November 1997 stellte es Konkursantrag und entzog der BVH Bank die Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften.

Herr Peter Paul u.a. hatten Festgeldkonten bei der Bank in der Höhe von insgesamt ca. 300 000 DM (ca. 150 000 Euro). Für den Fall, dass Einlagen nicht verfügbar sind, bestimmt die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme, dass die Gesamtheit der Einlagen eines Einlegers bis zu einem Betrag von 20 000 Euro abgedeckt wird. Das Landgericht Bonn hat jedem der Kläger wegen verspäteter Umsetzung dieser Richtlinie diesen Betrag zugesprochen. Diese begehren allerdings von der Bundesrepublik Deutschland Ersatz ihres darüber hinausgehenden Schadens mit der Begründung, dass das Bundesaufsichtsamt seiner Verpflichtung zur Bankenaufsicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei.

Der in letzter Instanz angerufene Bundesgerichtshof ersucht den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften um Entscheidung, ob Einlegern durch die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme oder andere bankenrechtliche Richtlinien das Recht verliehen wird, von der Bankenaufsicht das Setzen geeigneter Aufsichtsmaßnahmen zu verlangen. Des Weiteren geht es um die Tragweite des Grundsatzes der Haftung des Staates für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen.

Generalanwältin Christine Stix-Hackl trägt heute ihre Schlussanträge in dieser Rechtssache vor.

Was die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme betrifft, kommt die Generalanwältin zunächst zu dem Schluss, dass die Bestimmungen betreffend Aufsichtsmaßnahmen in dieser Richtlinie nicht inhaltlich unbedingt und hinreichend genau seien, um den Einlegern das Recht zu verleihen, dass die zuständigen Behörden von den darin erwähnten Maßnahmen Gebrauch machen.

Bei ihrer Prüfung kommt die Generalanwältin weiters zu dem Schluss, dass im Rahmen der Staatshaftung aufgrund des Fehlens der dafür erforderlichen Voraussetzungen kein Entschädigungsanspruch für Schäden eröffnet sei, die dem einzelnen Einleger durch die Unterlassung der zuständigen Behörde, die in dieser Richtlinie angeführten Maßnahmen zu ergreifen, entstanden sind, und die über den in der Sonderregelung des Artikels 7 der Richtlinie genannten Schadenersatz hinausgehen.

Betreffend die anderen bankenrechtlichen Richtlinien weist die Generalanwältin darauf hin, dass weder aus ihrer Zielsetzung noch aus ihrem Wortlaut hervorgehe, dass der einzelne Einleger ein Recht auf Durchführung von Aufsichtsmaßnahmen haben solle.

Zwar erwähnen mehrere von den bankenrechtlichen Richtlinien in ihren Erwägungsgründen den Schutz der Anleger, die Generalanwältin hebt jedoch hervor, dass die Wirkung von Erwägungsgründen nicht so weit reiche, dass ein Einzelner daraus Rechte ableiten könne.

Die Generalanwältin kommt deshalb zum Ergebnis, dass auch keine der anderen bankenrechtlichen Richtlinien Einzelnen das Recht verleihe, von den zuständigen Behörden das Wahrnehmen von Aufsichtsmaßnahmen zu verlangen und bei Fehlverhalten dafür Schadenersatz zu erlangen. Die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme stelle für alle Fälle der Nichtverfügbarkeit von Einlagen eine abschließende Sonderregelung dar, zumal nur diese Richtlinie dem Einleger ein ausdrückliches Recht auf Schadenersatz einräume, das vor nationalen Gerichten durchgesetzt werden könne.

Hinweis: Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Der Gerichtshof tritt nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.


Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet

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Den vollständigen Wortlaut der Schlussanträge finden Sie heute ab ca. 12.00 Uhr MEZ auf unserer Homepage (www.curia.eu.int ).

Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Isabelle Phalippou,
Tel: (00352) 4303 3255, Fax: (00352) 4303 2734.

 


Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 1994 über Einlagensicherungssysteme (ABl. L 135, S. 5).