Abteilung Presse und Information



PRESSEMITTEILUNG N1 15/03

11. März 2003

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-186/01

Alexander Dory / Bundesrepublik Deutschland

DAS GEMEINSCHAFTSRECHT STEHT DER WEHRPFLICHT NUR FÜR MÄNNER NICHT ENTGEGEN

Eine etwaige Verzögerung in der beruflichen Laufbahn ist eine unvermeidbare Konsequenz der Entscheidung des Staates hinsichtlich der militärischen Organisation und führt nicht dazu, dass diese Entscheidung in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt.



In Deutschland besteht Wehrpflicht nur für Männer. Herr Dory, der sich in dem Alter befindet, in dem er seinen Wehrdienst abzuleisten hat, beantragte beim Kreiswehrersatzamt, ihn von der Wehrpflicht zu befreien. Seiner Meinung nach verstößt das deutsche Wehrpflichtgesetz gegen das Gemeinschaftsrecht. Gestützt auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes vertritt er die Ansicht, dass sich die Befreiung von Frauen von der Wehrpflicht nicht mehr mit objektiven Gründen rechtfertigen lasse. Nachdem die Frauen aufgrund dieser Rechtsprechung das Recht erhalten hätten, einen Dienst mit der Waffe zu leisten, sei es in sich nicht schlüssig, dass sie der Verpflichtung, einen Wehrdienst abzuleisten, entzogen sein könnten.

Das Kreiswehrersatzamt wies den Befreiungsantrag von Herrn Dory zurück, der daraufhin Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhob. Dieses Gericht hat dem Gerichtshof der EG die Frage vorgelegt, ob der deutschen Wehrpflicht nur für Männer Gemeinschaftsrecht entgegensteht. Dabei hat es insbesondere ausgeführt, dass die Wehrpflicht bei den Männern zu einem verzögerten Zugang zur Beschäftigung und Berufsausbildung führe.

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass die Maßnahmen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Organisation ihrer Streitkräfte nicht schon deshalb in ihrer Gesamtheit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts entzogen seien, weil sie im Interesse der öffentlichen Sicherheit oder der Landesverteidigung ergingen. Der Gerichtshof habe bereits entschieden, dass die Richtlinie
76/207 auf den Zugang zur Beschäftigung in den Streitkräften anwendbar sei und dass er zu prüfen habe, ob die Maßnahmen, die die nationalen Stellen in Ausübung des ihnen zuerkannten Ermessens getroffen hätten, tatsächlich das Ziel verfolgten, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, und ob sie angemessen und erforderlich seien, um dieses Ziel zu erreichen.

Jedoch fielen Entscheidungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der militärischen Organisation, die die Verteidigung ihres Hoheitsgebiets oder ihrer unabdingbaren Interessen zum Ziel hätten, nicht unter das Gemeinschaftsrecht.

Die Entscheidung Deutschlands dafür, seine Verteidigung teilweise mit einer Wehrpflicht zu sichern, sei Ausdruck einer solchen Entscheidung hinsichtlich der militärischen Organisation, auf die das Gemeinschaftsrecht nicht anwendbar sei. Mit dieser im Grundgesetz verankerten Entscheidung werde Männern eine Dienstverpflichtung im Interesse der territorialen Sicherheit auferlegt, auch wenn dies zu einer Verzögerung beim Zugang junger Menschen zum Arbeitsmarkt und in ihrer beruflichen Laufbahn führen könne.

Schließlich führt der Gerichtshof aus, dass nachteilige Auswirkungen auf den Zugang zur Beschäftigung den Mitgliedstaat nicht dazu verpflichten könnten, die Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes auf Frauen auszudehnen und ihnen somit dieselben Nachteile beim Zugang zur Beschäftigung aufzuerlegen oder die Wehrpflicht abzuschaffen. Dies würde einen Eingriff in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten darstellen.


Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Dieses Dokument liegt in deutscher, englischer, französischer, finnischer, griechischer und spanischer Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts des Urteils konsultieren Sie bitte unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int 

Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Herrn Konstantin Schmidt,
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Urteil Kreil (C-285/98) vom 11. Januar 2000 (vgl. Pressemitteilung Nr. 1/2000 in www.curia.eu.int ).
Urteile Sirdar (C-273/97) vom 26. Oktober 1999 (vgl. Pressemitteilung Nr. 83/1999) und Kreil (C-285/98) vom 11. Januar 2000 (vgl. Pressemitteilung Nr. 1/2000 ).
Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen.