PRESSEMITTEILUNG N. 28/03
Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-144/00
Strafverfahren gegen Matthias Hoffmann
DER GRUNDSATZ DER STEUERLICHEN NEUTRALITÄT VERBIETET ES,
EINZELKÜNSTLER AUF DEM GEBIET DER UMSATZSTEUERBEFREIUNG
NICHT WIE KULTURELLE GRUPPEN ZU BEHANDELN
Die Mitgliedstaaten können für Einzelkünstler wie auch für kulturelle Gruppen die
Steuerbefreiungen für bestimmte kulturelle Dienstleistungen von bestimmten Bedingungen
abhängig machen (z. B. davon, dass keine systematische Gewinnerzielung angestrebt wird
und dass die kulturellen Dienstleistungen im Wesentlichen ehrenamtlich veranstaltet werden)
Herr Hoffmann behielt von den für die beiden Konzerte an die Solisten gezahlten Gagen keine
Umsatzsteuer ein und führte diese Steuer auch nicht an die deutsche Verwaltung ab. Nach dem
Umsatzsteuergesetz war er aber selbst zur Einbehaltung und Abführung verpflichtet, da die
Künstler im Ausland ansässig waren.
Aufgrund dieses Sachverhalts wurde gegen Herrn Hoffmann Anklage wegen Steuerhinterziehung
erhoben; mit Urteil vom 22. Dezember 1998 wurde er vom Landgericht Mannheim verurteilt.
Die Entscheidung des Landgerichts ist hauptsächlich damit begründet, dass nach deutschem
Recht die Umsatzsteuerbefreiung zugunsten kultureller Tätigkeiten nur für Einrichtungen gelte,
was Einzelkünstler ausschließe.
Die Revision gegen seine Verurteilung zum Bundesgerichtshof stützte Herr Hoffmann darauf,
dass die Versagung der Umsatzsteuerbefreiung gegen Gemeinschaftsrecht verstoße. Sie stelle
eine ungerechtfertigte Diskriminierung dar.
Der Bundesgerichtshof hat den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften danach gefragt,
wie die Bestimmungen der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie1 auszulegen seien und ob esgeboten sei, dass Einzelkünstler unter den gleichen Bedingungen wie kulturelle Gruppen
Umsatzsteuerbefreiungen in Anspruch nehmen könnten.
Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass er im Urteil Gregg2 ausgeführt habe, dass der
Begriff Einrichtung im Sinne der Sechsten Richtlinie natürliche Personen erfassen könne. So
seien die Steuerbefreiungen zugunsten von Einrichtungen nicht auf Umsätze juristischer
Personen beschränkt, sondern könnten sich auch auf Umsätze natürlicher Personen erstrecken.
Es gebe keinen Grund, der bei kulturellen Dienstleistungen ein Abweichen von dieser
Beurteilung im Hinblick auf Künstler rechtfertigte, die wie Gesangssolisten eine Einzelleistung
erbrächten. Insbesondere könnten diese Künstler wie eine kulturelle Gruppe ihre Tätigkeit
hauptberuflich, nebenberuflich oder aus Liebhaberei ausüben und dabei entweder Gewinn
erzielen oder ehrenamtlich, gegebenenfalls gegen bloße Aufwandsentschädigung, handeln.
Folglich verbiete es der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass Einzelkünstler, sobald
der kulturelle Charakter ihrer Leistungen anerkannt sei, nicht ebenso wie kulturelle
Gruppen unter bestimmten Bedingungen den kulturellen Einrichtungen des öffentlichen
Rechts gleichgestellt werden könnten, die im Allgemeinen von der Umsatzsteuer befreit
seien.
Der Gerichtshof weist jedoch darauf hin, dass die Mitgliedstaaten für Einzelkünstler wie auch
für kulturelle Gruppen, die nicht solche des öffentlichen Rechts seien, die Steuerbefreiungen von
einer oder mehreren Bedingungen abhängig machen könnten, und zwar u. a. davon, dass keine
systematische Gewinnerzielung angestrebt werde und dass die betreffenden kulturellen
Dienstleistungen im Wesentlichen ehrenamtlich veranstaltet würden.
Schließlich beschäftigt sich der Gerichtshof mit der Frage, ob die Überschrift des Artikels 13 Teil
A Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten zu Einschränkungen der
Steuerbefreiung verpflichte, wenn die Leistungen hauptsächlich zu Vermarktungszwecken
erbracht würden. Der Gerichtshof stellt fest, dass Artikel 13 Teil A der Sechsten
Mehrwertsteuerrichtlinie genau regele, welche Tätigkeiten von der Steuer zu befreien seien,
welche die Mitgliedstaaten befreien könnten und welche nicht von der Steuer befreit werden
könnten sowie unter welchen Bedingungen die Steuerbefreiung erfolgen könne; diese Richtlinie
schließe die dort aufgeführten Tätigkeiten nicht deshalb, weil sie kommerziellen Charakter
hätten, grundsätzlich von der Steuerbefreiung aus.
Der Sache nach schließe der kommerzielle Charakter einer Tätigkeit als solcher nicht aus,
dass es sich dabei um eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit handele. Nach der Richtlinie
seien die Mitgliedstaaten allerdings befugt, die Steuerbefreiung für private Einrichtungen von
bestimmten Bedingungen, u. a. davon abhängig zu machen, dass keine systematische
Gewinnerzielung angestrebt werde.
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Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou, |
1 Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage.2 Urteil vom 7. September 1999 in der Rechtssache C-216/97 (Gregg, Slg. 1999, I-4947).