Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 37/03

13. Mai 2003

Urteile des Gerichtshofes in den Rechtssachen C-463/00 und C-98/01

Kommission/Spanien und Kommission/Vereinigtes Königreich

DER GERICHTSHOF BEANSTANDET DIE SPANISCHEN UND BRITISCHEN REGELUNGEN ÜBER SONDERAKTIEN (GOLDEN SHARES)

Der freie Kapitalverkehr steht den Regelungen für die Unternehmen Repsol, Telefónica, Argentaria, Tabacalera, Endesa und British Airports Authority entgegen



Die Kommission hat gegen Spanien und das Vereinigte Königreich zwei Klagen wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs erhoben.

Das spanische Gesetz Nr. 5/1995 „zur rechtlichen Regelung der Veräußerung öffentlicher Beteiligungen an bestimmten Unternehmen“ regelt die Voraussetzungen für die Privatisierung mehrerer spanischer öffentlicher Unternehmen. Dieses Gesetz und die Königlichen Dekrete zu seiner Durchführung gelten für Unternehmen wie Repsol (Erdöl und Energie), Telefónica (Telekommunikation), Argentaria (Bank), Tabacalera (Tabak) und Endesa (Elektrizität). Das durch die spanischen Rechtsvorschriften geschaffene System vorheriger Genehmigungen erstreckt sich auf wichtige Entscheidungen über die Auflösung, Spaltung oder Verschmelzung, die Änderung des Gesellschaftszwecks, die Veräußerung von Vermögensgegenständen oder die Beteiligung am Gesellschaftskapital bestimmter Unternehmen.

In der Satzung der British Airports Authority plc (BAA), eines privatisierten Unternehmens, dem eine Reihe internationaler Flughäfen im Vereinigten Königreich gehören, wird eine Sonderaktie zugunsten der britischen Regierung geschaffen, die sie ermächtigt, bestimmte Handlungen der Gesellschaft (Auflösung, Veräußerung eines Flughafens) zu genehmigen. Ferner ist es nach der Satzung der BAA nicht möglich, Aktien zu erwerben, mit denen ein Stimmrecht für mehr als 15 % des Gesellschaftskapitals verbunden ist.

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass der EG-Vertrag jede Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen ihnen und dritten Ländern verbiete. Bei Investitionen in Form von Beteiligungen handele es sich nach der Gemeinschaftsregelung um Kapitalverkehr. Die spanische und die britische Regelung führten daher zu Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten.

Er weist jedoch darauf hin, dass es gerechtfertigt sei, wenn die Mitgliedstaaten einen gewissen Einfluss auf ursprünglich öffentliche und später privatisierte Unternehmen behielten, die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse oder von strategischer Bedeutung erbrächten. Sofern diese Beschränkungen unterschiedslos sowohl auf Inländer als auch auf Gemeinschaftsbürger anwendbar seien, könnten sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein. Dies setze voraus, dass die Beschränkungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprächen, d. h. nicht über das zur Erreichung des mit ihnen verfolgten Zieles erforderliche Maß hinausgingen.

Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, steht ein System vorheriger behördlicher Genehmigungen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang, wenn

es auf objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien beruht, die den betroffenen Unternehmen im Voraus bekannt sind, und
jedem, der von einer einschränkenden Maßnahme betroffen ist, der Rechtsweg offen steht.

Die spanische Regelung

Nach Ansicht des Gerichtshofes kann die Regelung im Fall von Tabacalera (einem Tabakhersteller) und Argentaria (einem Zusammenschluss von Geschäftsbanken, die im herkömmlichen Bankensektor tätig sind) nicht aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, die mit strategischen Interessen sowie mit dem Erfordernis zusammenhängen, die Beständigkeit öffentlicher Dienstleistungen zu gewährleisten. Diese Unternehmen seien nicht mit der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen betraut.

In Bezug auf Repsol (Erdöl), Endesa (Elektrizität) und Telefónica (Telekommunikation) erkennt der Gerichtshof an, dass Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs aus Gründen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt sein könnten. Das Ziel, im Krisenfall, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, die Versorgung mit solchen Produkten oder die Erbringung solcher Dienstleistungen sicherzustellen, sei zu billigen.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei jedoch nicht beachtet worden, weil

die Verwaltung über ein besonders weites Ermessen verfüge, dessen Ausübung von keiner Voraussetzung abhänge,
die Anleger nicht wüssten, unter welchen konkreten objektiven Umständen eine vorherige Genehmigung erteilt oder versagt werde,
es sich um ein System vorheriger Genehmigungen handele,
die genehmigungspflichtigen Handlungen grundlegende Entscheidungen im Leben eines Unternehmens darstellten und
eine Klage zwar möglich zu sein scheine, aber die spanischen Rechtsvorschriften den nationalen Gerichten keine genauen Kriterien für die Kontrolle der Ausübung des Ermessens der Verwaltungsbehörde lieferten.

Ferner stellt der Gerichtshof fest, dass die begrenzte Geltungsdauer der Regelung (zehn Jahre) nichts an ihrer Einstufung als Vertragsverletzung ändere.

Die britische Regelung

Die britische Regierung hat geltend gemacht, es handele sich in ihrem Fall nicht um eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs, da der Marktzugang nicht berührt werde und da die Satzung der BAA unter das private Gesellschaftsrecht und nicht unter das öffentliche Recht falle. Sie hat daher ausdrücklich erklärt, sich zur Rechtfertigung ihrer Regelung nicht auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses berufen zu wollen. Der Gerichtshof weist das Vorbringen der britischen Regierung zurück, ohne Rechtfertigungsgründe zu prüfen.

Unter diesen Umständen erklärt der Gerichtshof die spanische und die britische Regelung für unvereinbar mit dem freien Kapitalverkehr.


Hinweis:     Der Gerichtshof hat am 4. Juni 2002 drei Urteile zu „Golden Shares“ verkündet: Kommission/Portugal (C-367/98), Kommission/Frankreich (C483/99) und Kommission/Belgien (C-503/99). Vgl. die Pressemitteilung Nr. 49/02.


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