Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG N. 46/03

22. Mai 2003

Schlussanträge des Generalanwalts Antonio Tizzano in der Rechtssache C-216/01

Budêjovický Budvar gegen Rudolf Ammersin GmbH

GENERALANWALT TIZZANO SCHLÄGT DEM GERICHTSHOF VOR, FESTZUSTELLEN, DASS DIE ANWENDUNG EINER BILATERALEN ÜBEREINKUNFT ZWISCHEN EINEM MITGLIEDSTAAT UND EINEM DRITTSTAAT, DIE EINER GEOGRAFISCHEN ANGABE EINEN ABSOLUTEN SCHUTZ GEWÄHRT, ZULÄSSIG IST

Eine nationale Maßnahme, die einer Angabe, die keinen Zusammenhang zwischen dem Erzeugnis und dessen Herkunft herstellt, einen unabhängigen absoluten Schutz vor jeder Irreführung gewährt, ist jedoch unzulässig.


Die Brauerei «Budêjovický Budvar» mit Sitz in Budweis (Tschechische Republik) produziert das Bier «Budweiser Budvar». Sie hat gegen eine österreichische Bierhandelsgesellschaft (Ammersin) Klage erhoben, die vor allem Bier aus den Vereinigten Staaten unter der Bezeichnung «American Bud» einführt. Dieses Bier wird von einer Brauerei in Saint Louis (USA) gebraut, die ihr Bier seit dem Zweiten Weltkrieg u. a. nach Europa exportiert.

Der Rechtsstreit betrifft einen 1976 zwischen der Republik Österreich und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik (vor deren Auflösung) geschlossenen bilateralen Vertrag über den Schutz der geografischen Ursprungsbezeichnungen für Lebensmittel, die im Handel zwischen den beiden Ländern verkehren. Mit diesem Vertrag gewährte Österreich den geografischen Ursprungsbezeichnungen für Lebensmittel der Tschechoslowakei (Drittstaat) einen Schutz, der dem entsprach, der in der Folge in der Verordnung über geschützte Ursprungsbezeichnungen für Gemeinschaftswaren1 vorgesehen war. Die Bezeichnung «Bud» steht in dieser Liste von Ursprungsbezeichnungen.

1999 beantragte Budvar beim Handelsgericht Wien, es Ammersin zu untersagen, künftig «American Bud» einzuführen, weil dies eine missbräuchliche Verwendung der durch den österreichisch-tschechoslowakischen Vertrag geschützten Ursprungsbezeichnungen sei und die Marktbedingungen dadurch verfälschen könnte, dass die Verbraucher in die Irre geführt würden.

Das österreichische Gericht hat sich an den Gerichtshof mit der Bitte gewandt, verschiedene Punkte zu klären.


Generalanwalt Tizzano hat heute seine Schlussanträge in dieser Rechtssache vorgetragen.

Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung der von ihm bearbeiteten Rechtssachen vorzuschlagen.  

Der Generalanwalt schlägt dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass die Verordnung zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen der Anwendung einer bilateralen Übereinkunft zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat nicht entgegensteht, die einer geografischen Angabe, die ein gewöhnliches Produkt eines bestimmten Ortes bezeichnet, einen absoluten Schutz gewährt, obwohl die Eigenschaften des Produktes mit dem Ort in keinem besonderen Zusammenhang stehen.

Der Generalanwalt ist erstens der Ansicht, dass die Verordnung nicht für eine Bezeichnung eines Drittstaats wie «Bud» gelten könne.

Zweitens könne eine nationale Gesetzgebung nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes einer einfachen Bezeichnung auf jeden Fall auch dann einen "absoluten" Schutz gewähren, wenn zwischen der Herkunft und den Eigenschaften des Erzeugnisses kein besonderer Zusammenhang bestehe. Außerdem weist der Generalanwalt darauf hin, dass die Qualifizierung der Natur der fraglichen Bezeichnung Sache des österreichischen Gerichts sei.

Demzufolge sei nach den allgemeinen Grundsätzen des freien Warenverkehrs die Anwendung einer bilateralen Übereinkunft (zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat) zulässig, die zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums einer geografischen Angabe einen absoluten Schutz gewähre, die in dem Drittstaat weder der Name einer Gegend noch eines Ortes sei, jedoch ein Produkt bezeichne, ohne einen besonderen Zusammenhang mit dessen Eigenschaften vorauszusetzen, sofern diese Bezeichnung nicht im Ursprungsland zu einer Gattungsbezeichnung geworden sei.

Wie ist demgegenüber eine Angabe zu beurteilen, die nicht geeignet ist, einen Zusammenhang zwischen dem Erzeugnis und seiner geografischen Herkunft zu begründen, und dieser Angabe einen absoluten Schutz unabhängig von jeder Verwechslungsgefahr verleiht?

Nach Ansicht des Generalanwalts kann diese Art einer Bezeichnung, die mit einer geografischen Angabe nichts zu tun hat, nicht unter den Schutz des gewerblichen Eigentums fallen.

Sie könne auch nicht nach den Grundsätzen des lauteren Wettbewerbs geschützt sein, weil sie die Verbraucher nicht hinsichtlich des Ursprungs des Produktes in die Irre führen könne und weil sie eher den an einem bestimmten Ort ansässigen Herstellern einen ungerechtfertigten Vorteil vor ihren Konkurrenten verschaffe.

Deshalb schlägt der Generalanwalt dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass dieselben Grundsätze einer einzelstaatlichen Maßnahme entgegenstünden, die den in einem Drittstaat ansässigen Herstellern die Verwendung einer Angabe vorbehalte, die nicht zu den geografischen Angaben gehöre, d. h., die keinen Zusammenhang zwischen dem Erzeugnis und seiner geografischen Herkunft begründeten und dieser Angabe einen absoluten Schutz unabhängig von jeder Verwechslungsgefahr verliehen.

Der Generalanwalt überlässt es dem nationalen Gericht, zu beurteilen, ob die in der Tschechischen Republik im Zusammenhang mit Bier verwendete Bezeichnung «Bud» den Verbraucher auf die Stadt Budweis hinweise.

Das österreichische Gericht möchte außerdem wissen, ob die Bestimmungen des österreichisch- tschechoslowakischen Vertrages gegenüber etwaigen abweichenden Bestimmungen des EG- Vertrages aufgrund der Regeln des EG-Vertrages über die Einhaltung zuvor geschlossener völkerrechtlicher Verträge (die also von den Mitgliedstaaten vor ihrem Beitritt zur Gemeinschaft geschlossen worden seien) Vorrang hätten.

Dieses Problem ergibt sich insofern, als der Vertrag zwar 1976 und damit lange vor dem Beitritt Österreichs zur Gemeinschaft (1995) geschlossen wurde, jedoch mit einem Staat, der Tschechoslowakei, den es seit 1993 nicht mehr gibt und aus dem die Tschechische Republik und die Slowakische Republik entstanden sind. Die Republik Österreich hat das Fortbestehen dieses Vertrages in den Beziehungen mit der Tschechischen Republik erst 1997, d. h. nach ihrem Beitritt zur Gemeinschaft, offiziell bestätigt.

Der Generalanwalt erklärt, dass der jetzt geltende Vertrag derselbe sei wie der von 1976, bei dem sich die Frage der Staatennachfolge zwischen der Tschechoslowakei und der Tschechischen Republik gestellt habe. Die Vertragsparteien hätten nicht die Absicht gehabt, die mit dem Vertrag von 1976 begründeten vertraglichen Beziehungen aufzulösen. Außerdem sehe die unlängst auch von den Gemeinschaftsorganen im Fall der Entstehung eines neuen unabhängigen Staates nach einer Abspaltung oder Auflösung angewandte Regel die Kontinuität der vertraglichen völkerrechtlichen Verpflichtungen und die automatische Rechtsnachfolge des neuen Staates in die vom Vorgängerstaat geschlossenen Verträge vor. Diese Kontinuität entspreche schließlich den ausdrücklichen Erklärungen der Parteien.

Der Generalanwalt schlägt deshalb dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass die im österreichisch-tschechoslowakischen Vertrag von 1976 enthaltene Regelung eventuell entgegenstehenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts vorgehe, obwohl von österreichischer Seite die Staatennachfolge in diesen Vertrag nach dem Beitritt Österreichs zur Gemeinschaft amtlich kundgemacht worden sei.

Schließlich fragt das österreichische Gericht, ob die Mitgliedstaaten nach dem EG-Vertrag verpflichtet seien, einen bilateralen Vertrag gemeinschaftsrechtskonform (d. h. nach den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs) auszulegen, wenn dieser Vertrag nicht nur den Schutz vor Irreführung, sondern auch einen absoluten Schutz gewähre, den das Gemeinschaftsrecht hingegen nur für Erzeugnisse vorsehe, die die bei geschützten Ursprungsbezeichnungen im Sinne der Verordnung Nr. 2081/92 vorgesehenen Eigenschaften aufwiesen.

In diesem Zusammenhang weist der Generalanwalt darauf hin, dass der EG-Vertrag bestimme, dass ein bilateraler Vertrag wie die Übereinkunft von 1976 gemeinschaftsrechtskonform auszulegen sei - jedoch nur dann, wenn der Wortlaut des bilateralen Vertrages mehrdeutig sei -, und in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht, ohne "überzogene Auslegung", aufgefasst werden müsse. Ferner erklärt er, dass es Sache des nationalen Gerichts sei, zu prüfen, ob eine solche Möglichkeit bestehe, da ausschließlich dieses dafür zuständig sei, bilaterale Übereinkünfte auszulegen, die die Mitgliedstaaten bänden, aber nicht unter das Gemeinschaftsrecht fielen.

Hinweis: Nach Verlesung der Schlussanträge des Generalanwalts treten die Richter des Gerichtshofes in die Beratung ein. Das Urteil ergeht zu einem späteren Zeitpunkt.


Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument liegt in deutscher, englischer, finnischer, französischer, italienischer, schwedischer und spanischer Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int 

Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou,
Tel.: (00352) 4303 3255; Fax: (00352) 4303 2734.
 

1 -     Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel.