Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG N. 49/03


10. Juni 2003

Schlussanträge des Generalanwalts Dámaso Ruiz-Jarabo in der Rechtssache C-117/01

K. B. / The National Health Service Pensions Agency y The Secretary of State for Health


NACH AUFFASSUNG DES GENERALANWALTS RUIZ-JARABO VERSTÖSST EINE NATIONALE     REGELUNG, DIE DADURCH, DASS SIE DIE EHESCHLIESSUNG VON TRANSSEXUELLEN NICHT     ZULÄSST, DIESEN DEN ZUGANG ZU EINER WITWERRENTE VERWEHRT, GEGEN DAS      GEMEINSCHAFTSRECHT

Der Generalanwalt möchte die volle Wirksamkeit des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährleisten und fordert das nationale Gericht auf, die technischen Probleme bei der Umsetzung zu überwinden, bis das Vereinigte Königreich die Rechtsvorschriften erlassen habe, die dafür erforderlich seien, dass Transsexuelle eine Ehe schließen könnten.

                                

Die britische Staatsangehörige K. B. hat zwanzig Jahre lang für den britischen National Health Service (NHS) gearbeitet; während dieser Zeit hat sie Beiträge zum Rentensystem des NHS geleistet. Dieses System sieht die Gewährung einer Witwen- bzw. Witwerrente zugunsten des Ehegatten vor. Unter Ehegatte ist die Person zu verstehen, mit der der Versicherte verheiratet war.
                    
Diese Arbeitnehmerin wünscht, dass ihr Partner R., der sich einer Geschlechtsumwandlung von Frau zu Mann unterzogen hat, zu gegebener Zeit die Witwerrente beziehen kann. Das Recht des Vereinigten Königreichs verbietet jedoch die Eheschließung eines Transsexuellen gemäß seinem neuen Geschlecht.

K. B. erhob Klage bei den britischen Gerichten, da sie sich angesichts der Weigerung des NHS, zu gegebener Zeit die Witwerrente ihres Partners zu zahlen, als Opfer einer sexuellen Diskriminierung in Bezug auf ihren Lohn ansah. Der Court of Appeal legt dem Gerichtshof der EG diese Frage vor.

Der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen ist im Gemeinschaftsrecht niedergelegt. Der Begriff des Entgelts schließt Witwerrenten ein.

Zum anderen hat der Gerichtshof angenommen, dass eine mit der Transsexualität eines Arbeitnehmers begründete Entlassung gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verstößt.

Generalanwalt Ruiz-Jarabo hat heute seine Schlussanträge vorgetragen.


Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung der von ihm bearbeiteten Rechtssachen vorzuschlagen.  

Generalanwalt Ruiz-Jarabo geht bei der Prüfung, ob die Weigerung, einem Transsexuellen eine Witwerrente zu gewähren, gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts verstößt, von der Rechtsprechung des Gerichtshofes der EG aus.

Seiner Ansicht nach gebietet dieser Grundsatz nicht, dass dem nicht verheirateten Partner einer Arbeitnehmerin eine Leistung wie eine Witwerrente zu gewähren ist. Dass es sich bei dieser Person um einen Transsexuellen handele, sei nicht ausschlaggebend, da man in anderen Fallgestaltungen, in denen eine wirksame Eheschließung ausgeschlossen sei, d. h. bei Personen, die nicht geschäftsfähig seien, oder Personen, die sich untereinander im Verhältnis der Blutsverwandtschaft befänden, zu dem gleichen Ergebnis gelangen würde.

Der Generalanwalt sieht es jedoch als notwendig an, die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung, die dadurch, dass sie eine Eheschließung von Transsexuellen nicht zulässt, diesen den Zugang zu einer Witwerrente verwehrt, mit dem Gemeinschaftsrecht zu prüfen.

Hierzu stellt er fest, dass die Tatsache, dass eine Eheschließung unmöglich ist, gegen die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verstoße. Das Recht der Transsexuellen, eine Ehe mit Personen ihres eigenen biologischen Geschlechts zu schließen, sei Bestandteil der Rechtsordnungen der Mehrheit der Mitgliedstaaten und der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Zwar stehe es den Mitgliedstaaten frei, die Ehevoraussetzungen gesetzlich zu regeln, sie dürften aber keine grundrechtswidrige Voraussetzung aufstellen, sofern von deren Erfüllung die Inanspruchnahme eines durch den EG-Vertrag geschützten wirtschaftlichen Rechts abhänge (d. h. der Anspruch auf die Witwerrente). Das Gemeinschaftsrecht stehe daher dem entgegen, dass Transsexuelle keine Ehe schließen könnten, wenn dies sie am Bezug einer Witwerrente hindere.

Der Generalanwalt möchte in dieser Form die volle Wirksamkeit des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährleisten und fordert das nationale Gericht auf, die technischen Anwendungsprobleme zu überwinden, bis das Vereinigte Königreich die Rechtsvorschriften erlasse, die dafür erforderlich seien, dass Transsexuelle eine Ehe schließen könnten1.

Hinweis: Die Richter des Gerichtshofes beginnen nunmehr mit der Beratung in dieser Rechtssache. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument ist in Deutsch, Dänisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Niederländisch, Spanisch und Schwedisch verfügbar.

Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int 

Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou,
Tel.: (00352) 4303 3255; Fax: (00352) 4303 - 2734.
 

1 -     Das House of Lords hat die Unvereinbarkeit des englischen Rechts mit der Europäischen Menschenrechtskonvention bereits festgestellt und die Regierung des Vereinigten Königreichs aufgefordert, die zur Lösung dieses Problems erforderlichen Maßnahmen zu erlassen.