PRESSEMITTEILUNG N. 49/03
Die britische Staatsangehörige K. B. hat zwanzig Jahre lang für den britischen National Health
Service (NHS) gearbeitet; während dieser Zeit hat sie Beiträge zum Rentensystem des NHS
geleistet. Dieses System sieht die Gewährung einer Witwen- bzw. Witwerrente zugunsten des
Ehegatten vor. Unter Ehegatte ist die Person zu verstehen, mit der der Versicherte verheiratet
war.
Diese Arbeitnehmerin wünscht, dass ihr Partner R., der sich einer Geschlechtsumwandlung von
Frau zu Mann unterzogen hat, zu gegebener Zeit die Witwerrente beziehen kann. Das Recht des
Vereinigten Königreichs verbietet jedoch die Eheschließung eines Transsexuellen gemäß seinem
neuen Geschlecht.
K. B. erhob Klage bei den britischen Gerichten, da sie sich angesichts der Weigerung des NHS,
zu gegebener Zeit die Witwerrente ihres Partners zu zahlen, als Opfer einer sexuellen
Diskriminierung in Bezug auf ihren Lohn ansah. Der Court of Appeal legt dem Gerichtshof der
EG diese Frage vor.
Der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen ist im Gemeinschaftsrecht
niedergelegt. Der Begriff des Entgelts schließt Witwerrenten ein.
Zum anderen hat der Gerichtshof angenommen, dass eine mit der Transsexualität eines
Arbeitnehmers begründete Entlassung gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund des
Geschlechts verstößt.
Generalanwalt Ruiz-Jarabo hat heute seine Schlussanträge vorgetragen.
Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung der von ihm bearbeiteten Rechtssachen vorzuschlagen. |
Seiner Ansicht nach gebietet dieser Grundsatz nicht, dass dem nicht verheirateten Partner einer
Arbeitnehmerin eine Leistung wie eine Witwerrente zu gewähren ist. Dass es sich bei dieser
Person um einen Transsexuellen handele, sei nicht ausschlaggebend, da man in anderen
Fallgestaltungen, in denen eine wirksame Eheschließung ausgeschlossen sei, d. h. bei Personen,
die nicht geschäftsfähig seien, oder Personen, die sich untereinander im Verhältnis der
Blutsverwandtschaft befänden, zu dem gleichen Ergebnis gelangen würde.
Der Generalanwalt sieht es jedoch als notwendig an, die Vereinbarkeit einer nationalen
Regelung, die dadurch, dass sie eine Eheschließung von Transsexuellen nicht zulässt, diesen
den Zugang zu einer Witwerrente verwehrt, mit dem Gemeinschaftsrecht zu prüfen.
Hierzu stellt er fest, dass die Tatsache, dass eine Eheschließung unmöglich ist, gegen die
allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verstoße. Das Recht der Transsexuellen,
eine Ehe mit Personen ihres eigenen biologischen Geschlechts zu schließen, sei Bestandteil der
Rechtsordnungen der Mehrheit der Mitgliedstaaten und der Europäischen
Menschenrechtskonvention.
Zwar stehe es den Mitgliedstaaten frei, die Ehevoraussetzungen gesetzlich zu regeln, sie
dürften aber keine grundrechtswidrige Voraussetzung aufstellen, sofern von deren
Erfüllung die Inanspruchnahme eines durch den EG-Vertrag geschützten wirtschaftlichen
Rechts abhänge (d. h. der Anspruch auf die Witwerrente). Das Gemeinschaftsrecht stehe daher
dem entgegen, dass Transsexuelle keine Ehe schließen könnten, wenn dies sie am Bezug einer
Witwerrente hindere.
Der Generalanwalt möchte in dieser Form die volle Wirksamkeit des Verbots der
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährleisten und fordert das nationale Gericht
auf, die technischen Anwendungsprobleme zu überwinden, bis das Vereinigte Königreich die
Rechtsvorschriften erlasse, die dafür erforderlich seien, dass Transsexuelle eine Ehe schließen
könnten1.
Hinweis: Die Richter des Gerichtshofes beginnen nunmehr mit der Beratung in dieser
Rechtssache. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
Dieses Dokument ist in Deutsch, Dänisch, Englisch, Französisch, Italienisch,
Niederländisch, Spanisch und Schwedisch verfügbar.
Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab
ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int
Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou, |
1 - Das House of Lords hat die Unvereinbarkeit des englischen Rechts mit der Europäischen Menschenrechtskonvention bereits festgestellt und die Regierung des Vereinigten Königreichs aufgefordert, die zur Lösung dieses Problems erforderlichen Maßnahmen zu erlassen.