PRESSEMITTEILUNG N. 52/03
Von Dezember 1986 bis Dezember 1987 gab die in den Niederlanden niedergelassene Kühne &
Heitz NV mehrere Anmeldungen für Ausfuhren von Geflügelteilen ab. Die Productschap voor
Pluimvee en Eieren (Berufsverband für Vieh, Fleisch und Eier) gewährte zunächst die
beantragten Erstattungen, verlangte dann jedoch mit der Begründung, die ausgeführten
Geflügelerzeugnisse seien unter falscher tariflicher Bezeichnung angemeldet worden, ihre
Rückzahlung.
Das College van Beroep voor het bedrijfsleven (Gericht in Wirtschaftsangelegenheiten) wies 1991 die Klage, die die Kühne & Heitz NV gegen diese Entscheidung erhoben hatte, um gegen die verlangte Rückzahlung vorzugehen, aus den gleichen Gründen wie die Productschap ab. Mit dem Urteil Voogd2 vom 5. Oktober 1994 hat der Gerichtshof der EG die Zollnomenklatur in einer der von der Kühne & Heitz NV vertretenen Ansicht entsprechenden Weise ausgelegt.
Die Kühne & Heitz NV stellte unter Berufung auf dieses Urteil des Gerichtshofes im Dezember
1994 einen erneuten Antrag auf Rückzahlung bei der Productschap, den diese mit der
Begründung ablehnte, die Rechtskraft hindere sie daran, einem derartigen Antrag stattzugeben,
denn diesem stehe eine vorherige, bestandskräftig gewordene (vom College nicht beanstandete)
Verwaltungsentscheidung entgegen. Die Kühne & Heitz NV erhob daraufhin beim College
Anfechtungsklage gegen diese ablehnende Entscheidung mit dem Ziel, die Überprüfung der
Tarifierung der in Rede stehenden Waren und demgemäß die Auszahlung der zurückgezahlten
Erstattungen zu erlangen.
Dieses Gericht fragt den Gerichtshof der EG danach, ob das Gemeinschaftsrecht die Überprüfung
- gegebenenfalls die Rücknahme - einer bestandskräftig gewordenen nationalen
Verwaltungsentscheidung gebietet, wenn diese gegen ein später vom Gerichtshof erlassenes
Urteil verstößt.
Generalanwalt Philippe Léger hat heute seine Schlussanträge in dieser Rechtssache
vorgetragen.
Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in voller Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung der von ihm bearbeiteten Rechtssachen vorzuschlagen. |
Der Generalanwalt weist zunächst darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung
Vorabentscheidungsurteile des Gerichtshofes, mit denen eine Auslegung vorgenommen
werde, grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ausgelegten
Gemeinschaftsvorschrift zurückwirkten - was eine einheitliche Anwendung des
Gemeinschaftsrechts durch alle Mitgliedstaaten und seine volle Wirksamkeit gewährleiste.
Nur ausnahmsweise könne der Gerichtshof zeitliche Grenzen für seine Auslegung ziehen. Er
habe jedoch die zeitliche Tragweite des in der vorliegenden Rechtssache angeführten Urteils
Voogd nicht beschränkt. Daher hätte die Productschap dieses Urteil berücksichtigen müssen, als
sie mit dem Zahlungsantrag der Kühne & Heitz NV befasst gewesen sei.
In einer Linie mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist der Generalanwalt der
Ansicht, dass die Grundsätze der unmittelbaren Anwendbarkeit und des Vorrangs des
Gemeinschaftsrechts sowie einige Bestimmungen des EG-Vertrags die Verwaltung wie
auch die nationalen Gerichte verpflichteten, keine nationale Vorschrift, auch
verfassungsrechtlicher Art, anzuwenden, wenn sie die wirksame Durchführung des
Gemeinschaftsrechts behindere. Dies sei bei einer nationalen Bestimmung wie der
Bestimmung im Zusammenhang mit der Rechtskraft der Fall.
Der Generalanwalt schließt daraus, dass das Gemeinschaftsrecht es einer nationalen Verwaltung verwehre, einen auf das Gemeinschaftsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof in einer Vorabentscheidung gestützten Antrag mit der alleinigen Begründung abzulehnen, dass die Berücksichtigung dieses Antrags gegen eine nationale Bestimmung im Zusammenhang mit der Rechtskraft verstieße. Die Berücksichtigung eines derartigen Antrags durch die Verwaltung bedeute nicht zwangsläufig die Rücknahme der vorherigen Verwaltungsentscheidung oder die Aufhebung der in Rede stehenden gerichtlichen Entscheidung.
Hinweis: Die Richter des Gerichtshofes beginnen nunmehr mit der Beratung in dieser
Rechtssache. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
das den Gerichtshof nicht bindet.
Dieses Dokument liegt ist in französischer, englischer, deutscher und niederländischer
Sprache verfügbar.
Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab
ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int .
Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou, |
1 - Die Verordnung Nr. 2777/75 vom 29. Oktober 1975. 2 - Rechtssache C-151/93, Urteil vom 5. Oktober 1994, Slg. 1994, I-4915.