Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG N. 54/03

19. Juni 2003

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-34/02

Sante Pasquini gegen Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS)

DIE GEMEINSCHAFTSGRUNDSÄTZE DER ÄQUIVALENZ UND DER EFFEKTIVITÄT VERPFLICHTEN DAS INPS, DEN GUTEN GLAUBEN DES RENTNERS ZU BERÜCKSICHTIGEN UND REGELMÄßIG EINMAL JÄHRLICH DIE SITUATION DER IM RUHESTAND BEFINDLICHEN ABGEWANDERTEN ARBEITNEHMER ZU PRÜFEN.

Der rückforderbare Betrag darf höchstens den Beträgen entsprechen, die ein Jahr lang rechtsgrundlos bezogen wurden.

Nach der italienischen Rentenregelung haben abgewanderte Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses auf ihre Rente, die bis zum Erreichen der in Italien vorgeschriebenen Mindestrente aufgestockt wird. Hat der Berechtigte daneben Anspruch auf eine ausländische Rente, so kann diese Aufstockung nicht mehr gewährt werden; sie wird dann im Verhältnis zu den gegebenenfalls von ausländischen Trägern gezahlten Beträgen zurückverlangt.

Ferner ist vorgesehen, dass die im Rahmen des allgemeinen Pflichtversicherungssystems gezahlten Renten vom zahlenden Träger berücksichtigt und nach Unterrichtung des Betroffenen jederzeit berichtigt oder zurückgefordert werden können, wenn bei der Bewilligung oder der Auszahlung der Renten ein Fehler unterlaufen ist.

Herr Sante Pasquini, der gegenwärtig in Luxemburg wohnt, arbeitete nacheinander 140 Wochen in Italien, 336 Wochen in Frankreich und 1 256 Wochen in Luxemburg.

1987, nach Vollendung seines 60. Lebensjahres, wurde ihm vom INPS (Istituto nazionale della previdenza sociale) eine Altersrente bewilligt, die bis zur Höhe der in Italien vorgeschriebenen Mindestrente aufgestockt wurde, da er seinerzeit weder eine französische noch eine luxemburgische Rente bezog.

Im Juli 1988 berechnete das INPS die bewilligte Rente neu und kürzte sie wegen der Bewilligung einer anteiligen französischen Rente.

Ebenfalls 1988 bewilligte der luxemburgische Rentenversicherungsträger eine Altersrente, unterrichtete das INPS davon jedoch verspätet (im November 1999).

Im Jahr 2000 berechnete das INPS auf der Grundlage dieser Angaben die italienische Rente neu und kürzte sie rückwirkend vom 1. Juli 1988. Zum Ausgleich der rechtsgrundlos gezahlten Beträge (29 000 Euro) stellte das INPS die Auszahlung der Rente vollständig ein.


Herr Pasquini erhob Klage beim Tribunale di Roma, Abteilung für arbeitsrechtliche Streitigkeiten, und wandte sich gegen die italienische Regelung für die Rückzahlung rechtsgrundlos gezahlter Beträge mit der Begründung, diese verstoße gegen die Gemeinschaftsverordnungen über den Schutz der Arbeitnehmer.

Ist eine nationale Rechtsvorschrift, die keine Befristung der Rückforderung rechtsgrundlos gezahlter Beträge vorsieht, mit der Gemeinschaftsverordnung über die Systeme der sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer1 vereinbar? Kann die (in dieser Verordnung) vorgesehene Frist von zwei Jahren für die rückwirkende Geltendmachung von Ansprüchen in Fällen, in denen die Verordnungen zugunsten der Arbeitnehmer geändert wurden, angewandt werden?

Der Gerichtshof stellt zunächst klar, dass die Frist von zwei Jahren nicht entsprechend angewandt werden könne, da es sich um Übergangsregelungen handele, die nur für Änderungen der Verordnung vorgesehen seien.

Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Verordnung von 1971 über die Systeme der sozialen Sicherheit die Koordinierung (nicht die Harmonisierung) der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften bezwecke: Insbesondere bei der Berechnung der Verjährung für die Rückforderung rechtsgrundlos gezahlter Beträge sei das nationale Recht der Mitgliedstaaten anwendbar.

Bei einem Wanderarbeitnehmer müssten die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, beachten. Die Verfahren zur Regelung der Ansprüche aufgrund einer im Vertrag vorgesehenen Freiheit dürften nicht weniger günstig gestaltet werden als die Verfahren zur Behandlung innerstaatlicher Sachverhalte. Sie dürften die Ausübung der durch den Vertrag verliehenen Rechte nicht unmöglich machen oder übermäßig erschweren.

Wenn eine nationale Bestimmung existiere, wonach wegen des Zusammentreffens mehrerer Renten rechtsgrundlos gezahlte Beträge von einem gutgläubigen Rentner nicht zurückgefordert werden dürften, so sei diese Bestimmung auf Herrn Pasquini anzuwenden. Bei italienischen Renten aufgrund verschiedener Systeme des nationalen Rechts existiere eine Bestimmung des italienischen Rechts, die das INPS verpflichte, die Einkünfte der Rentner und ihre Auswirkung auf den Anspruch oder den Betrag von Rentenleistungen einmal jährlich zu prüfen. Hätte das INPS die den Wanderarbeitnehmern gezahlten Renten nach dem gleichen Verfahren wie bei den nationalen Systemen überprüft, so wäre die Rückforderung rechtsgrundlos gezahlter Beträge auf alle Fälle auf einen Zeitraum von einem Jahr begrenzt worden.

(Unerheblich sei, dass der luxemburgische Träger das INPS von der Bewilligung seiner Rente verspätet unterrichtet habe: Die Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung solle nur die Beziehungen zwischen den Trägern der sozialen Sicherheit regeln und nicht die Ansprüche der Betroffenen gegen die Träger festlegen.)


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das den Gerichtshof nicht bindet.

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Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou,
Tel.: (00352) 4303 3255; Fax: (00352) 4303 2734.

 

1Verordnung Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971.