Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-422/01
Der Gerichtshof ist dem Vorbringen nicht gefolgt, mit dem die schwedische Regierung diese
Steuervorschriften rechtfertigen wollte.
Auf dem Gebiet der Zusatzrentenversicherungen, die von einem Arbeitgeber, der die Prämien
zahlt, zugunsten eines Arbeitnehmers abgeschlossen werden, unterscheidet das schwedische
Recht zwischen Renten- und Kapitalversicherungen. Als Rentenversicherung wird eine
Versicherung nur angesehen, wenn sie bei einem in Schweden niedergelassenen
Versicherungsunternehmen abgeschlossen wird.
Die beiden Versicherungsarten unterliegen bei den direkten Steuern unterschiedlichen
Vorschriften hinsichtlich des Abzugsrechts, deren Auswirkungen für die Kapitalversicherungen
- und folglich für die Zusatzrentenversicherungen, die bei einem in einem anderen Mitgliedstaat
niedergelassenen Versicherer abgeschlossen werden - weniger günstig sein können. Die vom
Arbeitgeber an eine Rentenversicherung gezahlten Prämien sind unmittelbar von dessen
steuerpflichtigem Ergebnis abzugsfähig; die Rente, die später ausgezahlt wird, ist beim
Arbeitnehmer im Ruhestand voll einkommensteuerpflichtig. Demgegenüber sind die vom
Arbeitgeber im Rahmen einer Kapitalversicherung gezahlten Prämien nicht abzugsfähig, aber
der Arbeitgeber verfügt über ein Abzugsrecht in Bezug auf diejenigen Beträge, die an den
Arbeitnehmer zu zahlen er sich vertraglich verpflichtet hat. Für den Arbeitnehmer stellen die
vereinnahmten Beträge ein steuerpflichtiges Arbeitseinkommen dar.
Ola Ramstedt ist schwedischer Staatsbürger, hat seinen Wohnsitz in Schweden und ist bei
Skandia angestellt. Herr Ramstedt und Skandia haben vereinbart, dass ein Teil der Rente von
Herrn Ramstedt dadurch gesichert wird, dass Skandia eine Zusatzrentenversicherung bei einem
Versicherungsunternehmen mit Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat abschließt. Herr
Ramstedt und Skandia wollten vom Skatterättsnämnd (Steuerrechtssausschuss) wissen, ob die
Versicherung als Rentenversicherung angesehen werde.
Der Skatterättsnämnd teilte mit, dass seiner Ansicht nach die Versicherung nach den
schwedischen Vorschriften als Kapitalversicherung angesehen werde.
Herr Ramstedt und Skandia legten gegen diesen Vorbescheid Rechtsmittel beim Regeringsrätt
(Oberstes Verwaltungsgericht) ein. Der Regeringsrätt hat dem Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften eine Frage zur Vereinbarkeit der schwedischen Rechtsvorschriften mit den
Regeln des Gemeinschaftsrechts zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die Vorschriften des EG-Vertrages über die
Dienstleistungsfreiheit auf diesen Sachverhalt anwendbar seien. Die
gemeinschaftsrechtlichen Normen stellten klar, dass Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt
erbracht würden, als Dienstleistungen gälten. Im vorliegenden Fall stellten die Prämien, die
Skandia zahle, die wirtschaftliche Gegenleistung für die Rente dar, die an Herrn Ramstedt
gezahlt werde, wenn dieser aus dem Berufsleben ausscheide. Es sei also unerheblich, dass Herr
Ramstedt die Prämien nicht selbst entrichte.
Außerdem weist der Gerichtshof darauf hin, dass Steuervorschriften wie die in Schweden in
Kraft befindlichen den freien Dienstleistungsverkehr beschränkten. Diese Vorschriften
könnten einerseits die schwedischen Arbeitgeber davon abhalten, Zusatzrentenversicherungen
bei Gesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat als Schweden abzuschließen, und andererseits
diese Gesellschaften davon abhalten, ihre Dienste auf dem schwedischen Markt anzubieten.
Dem Gerichtshof bleibe somit nur zu prüfen, ob solche Vorschriften gerechtfertigt werden
könnten.
Der Gerichtshof hält die Argumente, die die schwedische Regierung hierfür vorgebracht hat,
nicht für überzeugend.
Was die Notwendigkeit der Wahrung steuerlicher Kohärenz des nationalen Systems anbelangt,
stellt der Gerichtshof fest, dass für diesen Rechtfertigungsgrund ein unmittelbarer
Zusammenhang zwischen der Abzugsfähigkeit der Beiträge und der Besteuerung der von den
Versicherern zu zahlenden Beträge bestehen müsse. Ein solcher Zusammenhang fehle im
schwedischen System, da der steuerliche Nachteil des Arbeitgebers, der einen ausländischen
Versicherer gewählt habe, gegenüber einem Arbeitgeber, der eine vergleichbare Versicherung
bei einer schwedischen Gesellschaft abgeschlossen habe, nicht ausgeglichen werde.
Hinsichtlich der Wirksamkeit der Steueraufsicht ist der Gerichtshof der Ansicht, dass diese durch
Maßnahmen sichergestellt werden könne, die den freien Dienstleistungsverkehr weniger
einschränkten, wie zum Beispiel durch die Richtlinie der Gemeinschaft aus dem Jahr 19771, die
in Steuersachen einen Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden der
Mitgliedstaaten vorsehe.
In Bezug auf die Notwendigkeit der Sicherung der Besteuerungsgrundlage des Mitgliedstaats
erinnert der Gerichtshof daran, dass ein Steuervorteil, der sich für Dienstleistende aus der
geringen steuerlichen Belastung in dem Mitgliedstaat ergebe, in dem sie ansässig seien, einem
anderen Mitgliedstaat nicht das Recht gebe, die in seinem Gebiet ansässigen Empfänger der
Dienstleistungen steuerlich ungünstiger zu behandeln. Außerdem sei die Notwendigkeit der
Vermeidung eines Steuerausfalls kein Grund, der eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit
rechtfertigen könne.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
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1 - Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern.