PRESSEMITTEILUNG N. 60/03
Vorabentscheidungsersuchen: Booker Aquaculture Ltd und Hydro Seafood GSP Ltd gegen
The Scottish Ministers
KEINE AUTOMATISCHE ENTSCHÄDIGUNG FÜR FISCHZÜCHTER, DIE
AUFGRUND DES GEMEINSCHAFTSRECHTS VERPFLICHTET WAREN, IHRE
VON EINER ANSTECKENDEN KRANKHEIT BEFALLENEN BESTÄNDE ZU
VERNICHTEN
Eine Gemeinschaftsrichtlinie und nationale Umsetzungsmaßnahmen, die keine
Entschädigung für die Eigentümer infizierter Fische vorsehen, verletzen das Recht auf
Eigentum nicht, wenn sie dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen
und keinen unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der dieses Recht in
seinem Wesensgehalt antastet.
Zwei Gemeinschaftsrichtlinien dienen der Kontrolle bestimmter Fischseuchen. Eine Richtlinie
von 1991 enthält ein Seuchenverzeichnis, in dem u. a. die infektiöse Anämie der Salmonide
(IAS) und die virale hämorrhagischen Septikämie (VHS) aufgeführt sind.
Bei Ausbruch dieser Seuchen sind nach einer Richtlinie von 1993 unter bestimmten Umständen
alle Fische in den betroffenen Betrieben zu töten und zu vernichten, mit Ausnahme - unter
bestimmten Voraussetzungen - von Fischen, die Vermarktungsgröße erreicht haben und keinerlei
klinische Krankheitsanzeichen aufweisen. Diese können für den menschlichen Verzehr
vermarktet werden, nachdem sie geschlachtet und ausgenommen worden sind.
Es gibt keine Vorschrift, die eine Entschädigung der Eigentümer der von der IAS und der VHS
betroffenen Aquakulturbetriebe vorsieht.
Im Vereinigten Königreich sind die Gemeinschaftsvorschriften durch Regulations von 1992 und
1994 umgesetzt worden.
In zwei schottischen Aquakulturbetrieben brachen Fischseuchen aus: 1994 bei Booker
Aquaculture (VHS) und 1998 bei Hydro Seafood (IAS). Die beiden Betriebe mussten in
Durchführung ministerieller Bescheide die Fische vernichten, die noch nicht Vermarktungsgröße
erreicht hatten, und die Fische, die diese Größe schon erreicht hatten, nach dem Ausnehmen
vorzeitig vermarkten. Sowohl Booker als auch Hydro forderten von den schottischen Behörden
eine Entschädigung für die erlittenen Verluste. Diese Forderungen wurden zurückgewiesen.
Die beiden Unternehmen erhoben Klagen gegen den Staat. Der mit den Rechtssachen befasste
Court of Session hat den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gefragt, ob das Recht
auf Eigentum eine Entschädigung der Züchter verlangt, deren Fische nach der Richtlinie von
1993 vernichtet wurden.
Vorab stellt der Gerichtshof fest, dass sich ein Entschädigungsanspruch der Eigentümer, deren
Fische vernichtet wurden, weder aus dem Sinn und Zweck noch aus dem Wortlaut der Richtlinie
93/53 ergebe. Es sei daher zu prüfen, ob die Richtlinie bei Fehlen einer Entschädigungsregelung
mit dem Grundrecht auf Eigentum vereinbar sei.
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die Grundrechte nicht schrankenlos gewährleistet,
sondern im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen seien. Die Ausübung
eines Grundrechts könne Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem
Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprächen und nicht einen
unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellten, der dieses Recht in seinem
Wesensgehalt antaste.
Der Gerichtshof prüft den Zweck der in Rede stehenden Gemeinschaftsvorschriften und stellt
fest, dass dieser darin liege, die Entwicklung des Aquakultursektors sicherzustellen und
tierseuchenrechtliche Vorschriften in diesem Bereich auf Gemeinschaftsebene zu erlassen. In
diesem Zusammenhang solle die Richtlinie von 1993 bei Verdacht auf Ausbruch einer Seuche
sofortige Bekämpfungsmaßnahmen und Verbringungskontrollen für Fische, die Träger von
Krankheitserregern sein könnten, ermöglichen. Der Gerichtshof folgert daraus, dass die
Maßnahmen, zu denen diese Richtlinie verpflichte, tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden
Zielen der Gemeinschaft entsprächen.
Zur Frage, ob die Beschränkungen einen unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff
darstellen, merkt der Gerichtshof zunächst an, dass die von der Richtlinie von 1993
vorgeschriebenen Maßnahmen Dringlichkeitsmaßnahmen seien, um jedes Risiko der Verbreitung
der Krankheiten auszuschließen. Sodann bewirkten diese Maßnahmen nicht, dass den Inhabern
der Zuchtbetriebe deren Nutzung entzogen werde, sondern dass die weitere Ausübung ihrer
Tätigkeit dadurch gefördert werde, dass ihnen die schnellstmögliche Wiederbestockung der
betroffenen Zuchtanlagen ermöglicht werde. Schließlich berge die Aquakultur geschäftliche
Risiken, wie z. B. den Ausbruch von Seuchen. Darüber hinaus könne der
Gemeinschaftsgesetzgeber zwar die Auffassung vertreten, dass die Entschädigung der
Eigentümer von Fischen, die vernichtet wurden, unter gewissen Umständen angebracht sei;
daraus könne jedoch nicht abgeleitet werden, dass es einen allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen
Grundsatz gäbe, der in jedem Fall zur Gewährung einer Entschädigung verpflichtete.
Der Gerichtshof gelangt daher zu dem Ergebnis, dass die in der Richtlinie von 1993 zur
Bekämpfung der Fischseuchen vorgesehenen Maßnahmen bei Fehlen einer Entschädigung für
die betroffenen Eigentümer keinen unverhältnismäßigen und untragbaren Eingriff
darstellen, der den Wesensgehalt des Eigentumsrechts antaste.
Die Durchführung dieser keine Entschädigung vorsehenden Seuchenbekämpfungsmaßnahmen
durch einen Mitgliedstaat stellt aus denselben Erwägungen keine Verletzung des Eigentumsrechts
dar.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Dieses Dokument ist in allen Amtssprachen verfügbar.
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Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou, |