Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 84/03



2. Oktober 2003

Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes im Verfahren der einstweiligen Anordnung in der Rechtssache C-320/03 R

Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Republik Österreich



ÖSTERREICH MUSS DAS SEKTORALE FAHRVERBOT GEMÄSS DER VERORDNUNG DES LANDESHAUPTMANNS VON TIROL, MIT DER AUF DER A 12 INNTALAUTOBAHN VERKEHRSBESCHRÄNKENDE MASSNAHMEN ERLASSEN WERDEN, BIS ZUM 30. APRIL 2004 AUSSETZEN

Die Verfahrensbeteiligten werden aufgefordert, sich auf Maßnahmen zu verständigen, die geeignet sind, die widerstreitenden Interessen miteinander in Einklang zu bringen, und dem Gerichtshof andernfalls bis spätestens 6. Februar 2004 einschlägige Informationen vorzulegen. Auf deren Grundlage kann die heute erlassene Anordnung verlängert, aufgehoben oder geändert werden.


Nach einer Überschreitung des für das Jahr 2002 festgesetzten Grenzwerts für Stickstoffdioxid auf der A 12 Inntalautobahn erließ der Landeshauptmann von Tirol auf der Grundlage des Immissionsschutzgesetzes-Luft, mit dem die Richtlinien der Gemeinschaft über die Luftqualität in österreichisches Recht umgesetzt werden, am 27. Mai 2003 eine Verordnung, die ab 1. August 2003 auf einem etwa 46 km langen Teilstück der A 12 Inntalautobahn ein Fahrverbot für Schwerlastfahrzeuge vorsieht, die bestimmte Güter befördern. Nach der Verordnung sind Fahrten von Lastkraftwagen, deren Ausgangs- oder Zielpunkt im Gebiet der Stadtgemeinde Innsbruck oder der Bezirke Kufstein, Schwaz oder Innsbruck-Land liegt, vom Fahrverbot ausgenommen.

Am 24. Juli 2003 erhob die Kommission beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Klage auf Feststellung, dass Österreich durch dieses sektorale Fahrverbot gegen die Grundsätze des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs im Bereich des Straßentransports innerhalb der Gemeinschaft verstoßen hat.

Einen Tag später ersuchte die Kommission den Präsidenten des Gerichtshofes, Österreich unverzüglich zu verpflichten, die Verordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.

Am 30. Juli 2003 ordnete der Präsident des Gerichtshofes (vorsorglich) an, dass Österreich das Fahrverbot bis zum Erlass des Beschlusses aussetzt, der das Verfahren der einstweiligen Anordnung abschließt.

Nach der Anhörung Österreichs sowie der Kommission, die mittlerweile von Deutschland und Italien unterstützt wird, am 27. August 2003 erlässt der Präsident des Gerichtshofes heute den zweiten Beschluss im Verfahren der einstweiligen Anordnung.

Auf den ersten Blick scheine die österreichische Verordnung den im EG-Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehenen freien Wirtschaftsverkehr zu beschränken, und es lasse sich nicht ausschließen, dass diese Beschränkung indirekt diskriminierend sein könnte. Die Verordnung gelte für alle Transportunternehmen unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit und treffe somit auch österreichische Unternehmen. Aufgrund der von ihr erfassten Beförderungsart sowie des Umfangs der vorgesehenen Ausnahmen sei es jedoch möglich, dass sie de facto zu einer stärkeren Benachteiligung der Transportunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten führe, für die es keine Rechtfertigung gebe.

Eine erste Prüfung des Vorliegens einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch Österreich ergebe zum einen, dass die Verordnung erlassen worden sei, um den Verpflichtungen aufgrund der Gemeinschaftsrichtlinien im Bereich der Luftqualität nachzukommen. Grundsätzlich hätten Erfordernisse des Umwelt- und/oder Gesundheitsschutzes Vorrang vor wirtschaftlichen Erwägungen.

Zum anderen könne die kurze Frist zwischen dem Erlass und dem Inkrafttreten der Verordnung ihre negativen Auswirkungen auf die Tätigkeit und die Planung der betroffenen Straßentransportunternehmen erheblich verstärken. Ein Zeitraum von zwei Monaten erscheine sehr kurz, um strukturelle Anpassungen (wie z. B. eine Steigerung des Bahntransportangebots auf der fraglichen Strecke) vorzunehmen, die nur mittelfristig und allmählich erfolgen könnten. Zudem verlangten Maßnahmen, die sich unmittelbar auf den Gütertransport zwischen Mitgliedstaaten auswirkten, ein gewisses Maß an vorheriger Abstimmung auf Gemeinschaftsebene, das im vorliegenden Fall offenbar gefehlt habe. Eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch Österreich könne daher nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

Die gegenwärtige Situation im Bereich der Luftverschmutzung im betreffenden Gebiet sei das Ergebnis einer graduellen Entwicklung und scheine bei erster Analyse nur mittelfristig und allmählich zufrieden stellend bewältigt werden zu können
Es dürften strukturelle Maßnahmen erforderlich sein, wobei alle am vorliegenden Verfahren Beteiligten gehalten seien, ihren Beitrag zur Suche der geeignetsten Lösungen zu leisten, die zwangsläufig einen Kompromiss zwischen widerstreitenden Interessen darstellen würden, ohne dass von vornherein ausgeschlossen werden könne, dass sie gewisse Nachteile sowohl für das Funktionieren des Binnenmarktes als auch für die Interessen bestimmter Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern mit sich brächten.
Unter diesen Umständen sei zwar anzuerkennen, dass die fragliche Verordnung zur kurzfristigen Verbesserung der Situation im Bereich der Luftqualität in dem betreffenden Gebiet beitragen könne, doch würde eine mittelfristige strukturelle Vorgehensweise die unabdingbar sei – durch die vorübergehende Nichtanwendung der Verordnung nicht gefährdet.
Dagegen bestehe eine erhebliche Gefahr, dass es zum endgültigen Verschwinden zahlreicher Unternehmen vom Markt sowie zu einer strukturellen und unumkehrbaren Veränderung der Transportbedingungen und der Warenströme in dem betreffenden Gebiet und durch dieses Gebiet hindurch komme.
Aufgrund dieser Gefahr eines schwer wieder gutzumachenden Schadens verlängert der Präsident die Anordnung an Österreich, das sektorale Fahrverbot auszusetzen, bis zum 30. April 2004.
Angesichts des Vorliegens und der Bedeutung der Probleme im Bereich der Luftqualität in dem betreffenden Gebiet werden die Verfahrensbeteiligten jedoch aufgefordert, sich auf Maßnahmen zu verständigen, die geeignet sind, die widerstreitenden Interessen, und sei es auch nur vorläufig, miteinander in Einklang zu bringen, und dem Gerichtshof jeden etwaigen Kompromiss mitzuteilen.
Andernfalls werden die Verfahrensbeteiligten aufgefordert, dem Gerichtshof bis spätestens 6. Februar 2004 Informationen über die Entwicklung der Luftqualität in dem betreffenden Gebiet, über die geschätzten Auswirkungen des Nachtfahrverbots im Jahr 2003 sowie über die Perspektiven bei der Entwicklung des Transports per Bahn oder des Transports über andere Routen vorzulegen.
Auf der Grundlage dieser neuen Informationen und Stellungnahmen kann die durch den heutigen Beschluss getroffene Anordnung verlängert, aufgehoben oder geändert werden.

Hinweis: Dieser Beschluss nimmt die Entscheidung, die der Gerichtshof in der Hauptsache treffen wird, in keiner Weise vorweg. Der Gerichtshof wird sein Urteil später verkünden.



Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Dieses Dokument ist in folgenden Sprachen verfügbar: DE, EN, FR, IT.
Den vollständigen Wortlaut des Beschlusses finden Sie heute ab ca. 12.00 Uhr MESZ auf unserer Homepage (www.curia.eu.int ).
Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou,
Tel.: (00352) 4303 3255 – Fax: (00352) 4303 2734

 

Bei den betroffenen Gütern handelt es sich um die im Europäischen Abfallverzeichnis aufgenommenen Abfälle, Getreide, Rundholz und Kork, Nichteisen- und Eisenerze, Steine, Erden, Aushub, Kraftfahrzeuge und Anhänger sowie Baustahl.