Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG N1 90/03

16. Oktober 2003

Urteil des Gerichtshofes in dem Vorabentscheidungsverfahren C182/02

Liga zum Schutz der wild lebenden Vogelarten u. a. / Französische Republik

EIN MITGLIEDSTAAT KANN UNTER BESTIMMTEN VORAUSSETZUNGEN VON DEN VORSCHRIFTEN ÜBER DIE JAGDZEITEN FÜR WILD LEBENDE VOGELARTEN ABWEICHEN

Die Europäische Richtlinie zum Schutz wild lebender Vogelarten schließt nicht die Möglichkeit nationaler Ausnahmeregelungen für die Jagd auf wild lebende Vogelarten während der Zeiten aus, in denen diese besonderen Schutz genießen; die Jagd darf aber nur bestimmte Vogelarten in kleinen Mengen betreffen.


Drei Tierschutzvereine, die Ligue pour la protection des oiseaux sauvages (Liga für den Schutz wild lebender Vogelarten), die Association pour la protection des animaux sauvages (Verein für den Schutz der wild lebenden Tiere) und der Rassemblement des opposants à la chasse (Sammlungsbewegung der Jagdgegner) haben beim Conseil d'État Klage auf Nichtigerklärung des französischen Dekrets über die Jagdzeiten für Zug- und Wasservögel erhoben. Dieses Dekret legt die Modalitäten und Bedingungen fest, nach denen die französischen Behörden auf verschiedenen Ebenen diese Jagdart genehmigen können. Nach Ansicht der Liga können die Vorschriften der Gemeinschaftsrichtlinie über den Vogelschutz nicht dahin ausgelegt werden, dass sie die Jagd während einer besonderen Schonzeit einschließen (Nist-, Brut- und Aufzuchtzeit usw.). Diese Jagd könne keinesfalls eine durch die Richtlinie genehmigte „vernünftige Nutzung“ darstellen.

Nach Auffassung der Union des chasseurs (Jagdverband), einer Streithelferin des Ausgangsverfahrens, gestattet die Richtlinie weitreichende Ausnahmen von dem mit ihr errichteten allgemeinen Schutzsystem. Da die Jagd auf wild lebende und Wasservogelarten einer strengeren Kontrolle unterliege als die Jagd auf andere Vogelarten, könne lediglich eine Ausnahmeregelung eine Bejagung dieser Arten ermöglichen.

Dieser Rechtsstreit hat den Conseil d'État veranlasst, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie zur Vorabentscheidung vorzulegen, mit denen er wissen möchte, ob die Richtlinie es erlaubt, von den Jagdzeiten abzuweichen, die in Anbetracht der mit der Richtlinie verfolgten Ziele des Vogelschutzes festgesetzt worden seien, und wenn ja, nach welchen Kriterien von dieser Abweichung Gebrauch gemacht werden könne.

In Beantwortung der ersten Frage stellt der Gerichtshof fest, dass die als Freizeitbeschäftigung ausgeübte Jagd auf wild lebende Vogelarten während der besonderen Schonzeiten eine durch die Richtlinie gestattete „vernünftige Nutzung“ sein kann.

Hinsichtlich der zweiten Frage weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine solche Jagd nur genehmigt werden darf, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, u. a. wenn es keine andere zufrieden stellende Lösung gibt, wenn die Jagd unter streng überwachten Bedingungen selektiv stattfindet und wenn sie nur bestimmte Vogelarten in geringen Mengen betrifft.

Die Voraussetzung, dass es keine andere zufrieden stellende Lösung gibt, ist namentlich dann nicht erfüllt, wenn die Maßnahme, die die Jagd in Abweichung gestattet, nur bezwecken würde, die Jagdzeiten für bestimmte Vogelarten in Gebieten zu verlängern, in denen sich diese Vogelarten bereits während der durch die Gemeinschaftsrichtlinie gestatteten Jagdzeiten aufhalten.

Außerdem muss die in Abweichung gestattete Jagd die Erhaltung der Bestände der betreffenden Arten auf ausreichendem Niveau gewährleisten.


Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument ist in folgenden Sprachen verfügbar: DE, EN und FR.

Den vollständigen Wortlaut des Urteils finden Sie heute ab ca. 12.00 Uhr MEZ auf unserer Homepage (www.curia.eu.int ).

Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Isabelle Phalippou,
Tel: (00352) 4303 3255, Fax: (00352) 4303 2734.
 

Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (ABl. L 103, S.1).