Abteilung Presse und Information
PRESSEMITTEILUNG Nr. 06/04
13. Januar 2004
Urteil des Gerichtshofes im Vorlageverfahren C440/00
Kühne & Nagel AG & Co. KG
Die Kühne & Nagel AG & Co. KG gehört zu einer gemeinschaftsweit tätigen Unternehmensgruppe, deren
Muttergesellschaft ihren Sitz in der Schweiz hat und in der Vorstöße zur Aufnahme
von Verhandlungen zur Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats erfolglos geblieben sind.
Eine europäische Richtlinie von 1994 sieht die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats für gemeinschaftsweit
operierende Unternehmen und Unternehmensgruppen vor. Befindet sich die zentrale Leitung einer Gruppe in
einem Drittstaat und hat sie in keinem Mitgliedstaat der Union einen benannten Vertreter,
ist die Leitung des zur Unternehmensgruppe gehörenden Unternehmens mit der höchsten Anzahl von
Beschäftigten in einem Mitgliedstaat als die fingierte zentrale Leitung verpflichtet, die zur Einsetzung
des Europäischen Betriebsrats erforderlichen Mittel bereitzustellen. Hier kam dem deutschen Zweigunternehmen der Kühne
& NagelGruppe diese Rolle zu.
Die deutsche Leitung machte u. a. geltend, sie habe gegenüber den in den anderen
Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen keinen Anspruch auf Auskunft über die durchschnittliche Gesamtzahl der Arbeitnehmer
und die Arbeitnehmervertretungen.
Die deutsche Leitung bestritt ihre Auskunftspflicht gegenüber dem deutschen Gesamtbetriebsrat nicht, erklärte aber,
sie könne sie nicht erfüllen, da sie nicht über die betreffenden Informationen verfüge
und die zentrale Leitung, die sich in der Schweiz befinde und nicht der
Richtlinie unterliege, ihr diese verweigere.
Die Sache wurde bei deutschen Gerichten anhängig gemacht, und das in letzter Instanz
damit befasste Bundesarbeitsgericht ersucht den Gerichtshof um Präzisierung der in der Richtlinie von
1994 festgelegten Auskunftspflicht.
Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass mit der Richtlinie sichergestellt werden soll,
dass die Arbeitnehmer gemeinschaftsweit operierender Unternehmensgruppen durch ein System von Verhandlungen zwischen der
zentralen Leitung und den Arbeitnehmervertretern angemessen informiert und konsultiert werden, wenn Entscheidungen, die
sich auf sie auswirken, in einem anderen Mitgliedstaat getroffen werden als dem, in
dem sie beschäftigt sind. Zur Verwirklichung dieses Ziels ist den betroffenen Arbeitnehmern Zugang
zu den Informationen zu verschaffen, aufgrund deren sie feststellen können, ob sie einen
Anspruch auf Aufnahme von Verhandlungen zwischen der zentralen Leitung und ihren eigenen Vertretern
zur Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats haben. Denn ein derartiges Recht auf Unterrichtung stellt
eine notwendige Voraussetzung für die Feststellung des Bestehens eines gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder
einer gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe dar, das seinerseits Voraussetzung für die Einsetzung eines Europäischen
Betriebsrats oder für ein Verfahren zur länderübergreifenden Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer ist.
Befindet sich die zentrale Leitung außerhalb der Union, so ist an ihrer statt
die in der Union ansässige fingierte zentrale Leitung dafür verantwortlich, dass den Arbeitnehmervertretern
die Auskünfte erteilt werden, die zur Aufnahme der Verhandlungen zur Einrichtung eines Europäischen
Betriebsrats unerlässlich sind. Damit das System der Unterrichtung und Anhörung, das mit der
Richtlinie geschaffen werden soll, ordnungsgemäß funktionieren kann, ist die fingierte zentrale Leitung, wenn
sie nicht über die Informationen verfügt, die zur Aufnahme der Verhandlungen zur Einrichtung
eines Europäischen Betriebsrats unerlässlich sind, verpflichtet, sie von den anderen in den Mitgliedstaaten
ansässigen Unternehmen der Gruppe zu verlangen. Außerdem haben die Leitungen der anderen der
Gruppe angehörenden und in der Gemeinschaft ansässigen Unternehmen die Pflicht, der fingierten zentralen
Leitung die betreffenden Informationen zur Verfügung zu stellen, soweit sie über sie verfügen.
Schließlich haben die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der Interessen der Unternehmen dafür zu sorgen,
dass Verwaltungs oder Gerichtsverfahren vorhanden sind, mit deren Hilfe die Erfüllung der sich
aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen durchgesetzt werden kann.
Der Gerichtshof präzisiert außerdem seine Rechtsprechung zur Art der Informationen, die nach der
Richtlinie mitzuteilen sind. Dazu gehören Angaben über die durchschnittliche Gesamtzahl der Arbeitnehmer, deren
Verteilung auf die Mitgliedstaaten, die Betriebe des Unternehmens und die Unternehmen der Gruppe
sowie die Struktur des Unternehmens und der Unternehmen der Gruppe wie auch über
die Bezeichnungen und Anschriften der Arbeitnehmervertretungen, die gegebenenfalls an der Bildung eines besonderen
Verhandlungsgremiums oder an der Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats zu beteiligen sind. Es ist
Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die Informationen in dem bei ihm
anhängigen Fall zur Aufnahme von Verhandlungen zur Errichtung eines Europäischen Betriebsrats unerlässlich sind.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Dieses Dokument ist in folgenden Sprachen verfügbar: FR, DE. Den vollständigen Wortlaut des Urteils finden Sie heute ab ca. 12.00 Uhr MEZ auf unserer Homepage (www.curia.eu.int ). Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Isabelle Phalippou Tel.: (00352) 4303 - 3255 Fax: (00352) 4303 - 2734. |
Die Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen (ABl. L 254, S. 64)