Abteilung Presse und Information
PRESSEMITTEILUNG N° 15/04
11. März 2004
Schlussanträge des Ersten Generalanwalts Antonio Tizzano in den Rechtssachen C262/02 und C-429/02
Kommission/Frankreich sowie Bacardi France SAS/Télévision Française TF1, Groupe Jean-Claude Darmon SA und Girosport
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DER ERSTE GENERALANWALT ANTONIO TIZZANO ÄUSSERT SICH ZUR VEREINBARKEIT DES VERBOTS VON FERNSEHWERBUNG
FÜR ALKOHLISCHE GETRÄNKE MIT DEM GEMEINSCHAFTSRECHT
Seiner Ansicht nach stellt ein solches Verbot eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar,
die durch den angestrebten Schutz der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt ist
Vor dem Gerichtshof sind derzeit zwei Rechtssachen anhängig, die diese französische Regelung betreffen.
In dem Vertragsverletzungsverfahren (C-262/02) beantragt die Kommission, festzustellen, dass die französische Regelung wegen
der Beschränkungen, die mit der Loi Evin für die Übertragung ausländischer Sportveranstaltungen in
Frankreich eingeführt wurden, nicht mit dem freien Dienstleistungsverkehr vereinbar ist.
In dem Vorabentscheidungsverfahren (C-429/02) hatte der Fernsehsender Télévision Française TF1 die von ihm
mit der Vermittlung von Rechten für die Fernsehübertragung von Fußballspielen beauftragten Firmen Groupe
Jean-Claude Darmon und Girosport aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Marken alkoholischer Getränke nicht
auf dem Bildschirm erscheinen. Infolgedessen lehnten es einige ausländische Fußballklubs ab, an Bacardi
France, die zahlreiche alkoholische Getränke herstellt und vertreibt, Werbeflächen am Spielfeldrand zu vermieten.
Die französische Cour de Cassation möchte wissen, ob die französische Regelung den Vorschriften
des Gemeinschaftsrechts, und zwar den Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr und der Gemeinschaftsrichtlinie
Fernsehen ohne Grenzen, zuwiderläuft.
Der Erste Generalanwalt führt zunächst aus, dass die im Fernsehen gezeigten Bilder dieser
am Spielfeldrand angebrachten Werbeflächen zwangsläufig während der gesamten Dauer der Veranstaltung erschienen, ohne
dass, wie von der Richtlinie verlangt, eine klare Trennung von den Bildern des
Spielgeschehens möglich sei. Die Richtlinie sei daher nicht auf diesen Fall anwendbar.
Die vom CSA erlassenen Maßnahmen, wonach diejenigen, die Fernsehübertragungsrechte vermittelten, verpflichtet seien, alle
verfügbaren Mittel einzusetzen, um zu vermeiden, dass im französischen Fernsehen Werbung für alkoholische
Getränke gezeigt werde, stellten tatsächlich eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.
Zur Rechtfertigung dieser Beschränkung
Der Erste Generalanwalt teilt die Auffassung der Verfahrensbeteiligten, dass die Loi Evin dem
Schutz der öffentlichen Gesundheit diene, der nach dem EG-Vertrag Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs
rechtfertigen könne.
Zur Verhältnismäßigkeit der französischen Regelung
Maßnahmen, die die Grundfreiheiten einschränken, sind nur zulässig, wenn sie hinsichtlich des verfolgten
Zieles verhältnismäßig sind.
Der Erste Generalanwalt prüft zunächst, ob die französische Regelung das Ziel, die öffentliche
Gesundheit zu schützen, erreicht. Die Entscheidung der französischen Regierung, die Werbung für alkoholische
Getränke in den Stadien nicht ganz zu verbieten, werfe zwar Fragen auf, falle
aber unter die Freiheit der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, auf welchem Niveau und wie
sie den Schutz der öffentlichen Gesundheit sicherstellen wollten. Es könne vernünftigerweise davon ausgegangen
werden, dass die französischen Maßnahmen, die die Werbung für alkoholische Getränke beschränkten, auch
die Fälle verringern könnten, in denen die Fernsehzuschauer solche Getränke aufgrund der Werbung
konsumierten. Zudem ermögliche es die Unterscheidung zwischen internationalen Veranstaltungen und anderen Veranstaltungen, den
angestrebten Schutz der öffentlichen Gesundheit und den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs besser miteinander
in Einklang zu bringen, da sich hierdurch die Anzahl der Fälle verringere, in
denen die Übertragung im Ausland stattfindender Sportveranstaltungen in Frankreich verboten sei. Der Erste
Generalanwalt weist darauf hin, dass die französischen Rechtsvorschriften und die französische Praxis das
fragliche Verbot nicht auf alkoholische Erzeugnisse beschränkten, die auf dem französischen Markt vertrieben
würden, sondern zu gleicher Aufmerksamkeit gegenüber ausländischen alkoholischen Getränken verpflichteten.
Der Erste Generalanwalt untersucht sodann, ob die französische Regelung nicht über das hinausgeht,
was erforderlich ist, um die öffentliche Gesundheit zu schützen. Er vertritt insoweit die
Ansicht, dass die Fernsehsender nicht über die Mittel verfügten, Werbeflächen für alkoholische Getränke
unkenntlich zu machen, und dass die moderne Technik für die Ausblendung von Fernsehbildern
wegen ihrer hohen Kosten nicht genutzt werden könne. Ferner weist er darauf hin,
dass der übermäßige Konsum alkoholischer Getränke ungeachtet des jeweiligen Alkoholgehalts die Gesundheit gefährde.
Die Kürze der Zeit, für die diese Form der Werbung erscheine, lasse weder
eine Inhaltskontrolle noch die Möglichkeit zu, eine Warnung vor den mit Alkohol verbundenen
Gefahren einzublenden.
Schließlich erinnert der Erste Generalanwalt daran, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der
bloße Umstand, dass ein anderer Mitgliedstaat weniger strenge Vorschriften im Bereich der Werbung
für alkoholische Getränke anwende, nicht bedeute, dass die französischen Normen unverhältnismäßig seien.
Der Erste Generalanwalt schlägt dem Gerichtshof daher vor, zu entscheiden, dass die Richtlinie
und der im EG-Vertrag verankerte Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs dem Verbot in der
französischen Regelung über Fernsehwerbung für alkoholische Getränke nicht entgegenstehen.
Hinweis: Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des
Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende
Rechtssache zu unterbreiten. Der Gerichtshof tritt nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil
wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet werden.
Dieses Dokument ist in folgenden Sprachen verfügbar: DE, EN, ES, FR, GR, IT. Den vollständigen Wortlaut der Schlussanträge finden Sie heute ab ca. 12.00 Uhr MEZ auf unserer Homepage (www.curia.eu.int ). Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Isabelle Phalippou, Tel: (00352) 4303 3255, Fax: (00352) 4303 2734. |
Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts-
und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. L 298, S. 23.