Abteilung Presse und Information
PRESSEMITTEILUNG N° 18/04
18. März 2004
Schlussanträge der Generalanwältin Christine Stix-Hackl in der Rechtssache C-36/02
OMEGA Spielhallen- und Automatenaufstellungs-GmbH / Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn
DIE GENERALANWÄLTIN IST DER ANSICHT, DASS DAS DEUTSCHE VERBOT DES BETRIEBS EINES LASERDROMS
MIT SIMULIERTEN TÖTUNGSHANDLUNGEN NICHT GEGEN GEMEINSCHAFTSRECHT VERSTÖSST
Sie betont, dass eine schwere Gefährdung der Menschenwürde, deren Schutz auch gemeinschaftsrechtlich geboten
sei, den Eingriff in den freien Dienstleistungsverkehr rechtfertigen könne
Die OMEGA Spielhallen- und Automatenaufstellungs-GmbH ist eine Gesellschaft deutschen Rechts, die in Bonn
eine Einrichtung mit dem Namen "Laserdrome" betrieben hat. Es handelt sich dabei um
ein mit Hilfe von Stellwänden aufgebautes weitläufiges Labyrinth, in dem neben den in
der Halle installierten festen Sensorenempfängern auch auf Menschen bzw. auf Stoffwesten, die mit
Sensoren versehen sind, geschossen wurde. OMEGA bediente sich einer Ausrüstung, die von einer
Gesellschaft englischen Rechts aus Großbritannien geliefert wird.
Im September 1994 erließ die Ordnungsbehörde gegenüber OMEGA eine Verfügung, mit der es
dem Unternehmen untersagt wurde, Spielabläufe zu ermöglichen, die ein gezieltes Beschießen von Menschen
mittels Laserstrahl oder Infrarot, also ein so genanntes spielerisches Töten von Menschen, zum
Gegenstand haben. Die Verfügung wurde u. a. damit begründet, dass eine Gefahr für
die öffentliche Ordnung vorliege, weil die simulierten Tötungshandlungen und die damit einhergehende Verharmlosung
von Gewalt gegen die grundlegenden Wertvorstellungen der Allgemeinheit verstießen.
Das im folgenden Rechtsstreit in letzter Instanz angerufene Bundesverwaltungsgericht setzte das Verfahren aus
und wandte sich an den Gerichtshof mit der Frage, ob es mit Gemeinschaftsrecht
vereinbar ist, dass nach nationalem Recht der Betrieb eines Laserdromes mit simulierten Tötungshandlungen
untersagt werden muss, weil er gegen Wertentscheidungen des Grundgesetzes (insbesondere die Menschenwürde) verstößt.
Im Wesentlichen geht es darum, ob die erfolgte Einschränkung auf einer allen Mitgliedstaaten
gemeinsamen Rechtsauffassung beruhen muss.
Die Generalanwältin stellt zunächst fest, dass die Ordnungsverfügung, durch die eine Spielvariante untersagt
wird, die einen wesentlichen Bestandteil der vertraglichen Vereinbarungen zwischen OMEGA und dem britischen
Unternehmen bildet, eine Verletzung des freien Dienstleistungsverkehrs darstelle.
Sodann untersucht sie, welche Bedeutung einer nationalen grundrechtlichen Wertung gemeinschaftsrechtlich beizumessen sei. Sie
betont, dass auf mitgliedstaatlichen Grundrechtsordnungen basierende Einwendungen gegen die Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht grundsätzlich
nicht tragfähig seien, da sonst die einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt würde.
Eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs könne folglich nicht ohne weiteres durch den Schutz
der spezifischen, in einer Verfassung eines Mitgliedstaates garantierten Grundrechte gerechtfertigt werden. Zu prüfen
sei vielmehr, inwieweit diese auf nationalem Recht basierende Beschränkung aus gemeinschaftsrechtlich anerkannten Gründen,
wie insbesondere dem Schutz der öffentlichen Ordnung, gerechtfertigt werden kann. Hiebei sei der
gemeinschaftliche Begriff der öffentlichen Ordnung im Lichte des gemeinschaftsrechtlich gebotenen Schutzes der Menschenwürde
auszulegen.
Bei dieser Prüfung sei der zuständigen nationalen Behörde ein Ermessensspielraum zuzubilligen, wobei jedoch
nicht jede Verletzung nationaler Vorschriften als Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtlich anerkannte öffentliche Ordnung
gewertet werden könne. Es müsse vielmehr eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen,
die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Für die Annahme der Berührung eines Grundinteresses,
hier nämlich der Menschenwürde, komme es auf eine allfällige gemeinsame Auffassung der Mitgliedstaaten
nicht an.
Die Generalanwältin betont hiebei die grundsätzliche Bedeutung der Menschenwürde auch im Gemeinschaftsrecht. Sie
leitet daraus ab, dass man im vorliegenden Fall von einer schweren Gefährdung eines
Grundinteresses der Gesellschaft ausgehen könne. Abschließend unterstreicht sie, dass ein milderes Mittel wohl
nicht möglich sei, da die Ordnungsverfügung lediglich eine Spielvariante verbietet.
Hinweis: Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des
Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende
Rechtssache zu unterbreiten. Der Gerichtshof tritt nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil
wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet werden.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Dieses Dokument ist in folgenden Amtssprachen verfügbar: EN, FR, DE. Den vollständigen Wortlaut der Schlussanträge finden Sie heute ab ca. 12.00 Uhr MEZ auf unserer Homepage (www.curia.eu.int ). Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Isabelle Phalippou, Tel: (00352) 4303 3255, Fax: (00352) 4303 2734. |