Abteilung Presse und Information


PRESSEMITTEILUNG N° 23/04

23. März 2004

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-234/02 P

Europäischer Bürgerbeauftragter / Frank Lamberts

DER GEMEINSCHAFTSRICHTER IST FÜR DIE ENTSCHEIDUNG ÜBER EINE SCHADENERSATZKLAGE GEGEN DEN BÜRGERBEAUFTRAGTEN ZUSTÄNDIG

Angesichts der Besonderheiten des Amtes des Bürgerbeauftragten muss die Kontrolle des Gemeinschaftsrichters darauf beschränkt und dazu bestimmt sein, zu prüfen, ob der Bürgerbeauftragte bei der Ausübung seines Amtes einen offenkundigen und erheblichen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht begangen hat, der geeignet ist, dem betroffenen Bürger einen Schaden zu verursachen


Für die Behandlung von Beschwerden über Missstände bei den Organen und Institutionen der Europäischen Gemeinschaft wurde durch den Vertrag von Maastricht das Amt des Bürgerbeauftragten geschaffen. Der Bürgerbeauftragte wird vom Europäischen Parlament ernannt und kann auf Antrag des Europäischen Parlaments vom Gerichtshof seines Amtes enthoben werden. Der Bürgerbeauftragte legt dem Europäischen Parlament jährlich einen Bericht über die Ergebnisse seiner Untersuchungen vor.
Herr Lamberts bestand bei einem Auswahlverfahren die mündliche Prüfung nicht, da er unter dem Einfluss von Medikamenten stand, die ihm aufgrund eines Unfalls verschrieben worden waren. Er hatte keine Verlegung des Termins zur mündlichen Prüfung beantragt, weil das Einladungsschreiben den Hinweis enthalten hatte, dass „[d]ie Organisation der Prüfungen … keine Änderung der … angegebenen Termine zu[lässt]“. Nachdem er bei den Stellen der Kommission vergeblich beantragt hatte, seinen Fall zu überprüfen, wandte er sich mit einer Beschwerde an den Bürgerbeauftragten.
Der Bürgerbeauftragte führte in seiner Entscheidung aus, dass die Kommission in der Zukunft eine Angabe in die schriftliche Einladung aufnehmen sollte, um die Bewerber auf die Möglichkeit hinzuweisen, unter außergewöhnlichen Umständen eine Verlegung des Termins zu beantragen. Im vorliegenden Fall vertrat er jedoch die Ansicht, dass kein Missstand vorlag, weil die Ablehnung der Kommission, Herrn Lamberts ein zweites Mal an der mündlichen Prüfung teilnehmen zu lassen, nicht gegen irgendeine dieses Organ bindende Vorschrift verstoßen habe.
Herr Lamberts hat beim Gericht erster Instanz Schadenersatzklage gegen den Bürgerbeauftragten erhoben. Der Bürgerbeauftragte hat die Ansicht vertreten, dass die Klage als unzulässig abzuweisen sei, da allein das Parlament seine Entscheidungen überprüfen könne.
Am 10. April 2002 hat das Gericht die Klage für zulässig erklärt, sie jedoch als unbegründet abgewiesen, da Herr Lamberts dem Bürgerbeauftragten keine Verletzung von Amtspflichten bei der Behandlung seiner Beschwerde nachgewiesen habe.
Der Bürgerbeauftragte hat ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts eingelegt, soweit darin die Schadenersatzklage für zulässig erklärt wird. Er hält eine gegen ihn erhobene Schadenersatzklage, die darauf gerichtet sei, die Ordnungsmäßigkeit des Untersuchungsverfahrens und seiner Entscheidung, das Verfahren abzuschließen, überprüfen zu lassen, für nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Damit habe das Gericht die Grenzen überschritten, die der gerichtlichen Überprüfung der Tätigkeit des Bürgerbeauftragten gesetzt seien. Der Bürgerbeauftragte ist ferner der Meinung, dass die Klage von Herrn Lamberts den Ersatz eines durch das Verhalten der Kommission und nicht durch sein Eingreifen als Bürgerbeauftragter hervorgerufenen Schadens zum Ziel gehabt habe.
Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die Befugnisse, über die das Parlament gegenüber dem Bürgerbeauftragten verfügt, einer Befugnis zur gerichtlichen Kontrolle nicht gleichstehen. Demnach stellt eine gerichtliche Überprüfung der Tätigkeit des Bürgerbeauftragten keine Verdopplung der vom Parlament ausgeübten Kontrolle dar. Mit der Feststellung einer Haftung aufgrund eines durch den Bürgerbeauftragten verursachten Schadens wird nicht die persönliche Haftung des Bürgerbeauftragten, sondern die der Gemeinschaft festgestellt. Daher stellt die Möglichkeit, dass wegen eines Verhaltens des Bürgerbeauftragten die Haftung der Gemeinschaft ausgelöst wird, die Unabhängigkeit des Bürgerbeauftragten nicht in Frage. Außerdem muss die gerichtliche Überprüfung der Tätigkeit des Bürgerbeauftragten unter Berücksichtigung der Besonderheiten seines Amtes erfolgen. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass der Bürgerbeauftragte nur eine Handlungspflicht hat und über ein weites Ermessen verfügt.
Der Gerichtshof stellt klar, dass die Kontrolle des Gemeinschaftsrichters daher zwar beschränkt sein muss, dass aber nicht auszuschließen ist, dass ein Bürger unter ganz außerordentlichen Umständen nachweisen kann, dass der Bürgerbeauftragte bei der Ausübung seines Amtes einen offenkundigen und erheblichen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht begangen hat, der geeignet ist, dem betroffenen Bürger einen Schaden zu verursachen.
Ferner handelt es sich bei der Schadenersatzklage um einen selbständigen Rechtsbehelf, der nicht mit der Nichtigkeitsklage verwechselt werden darf, die die Ahndung der Rechtswidrigkeit zwingender Rechtsakte zum Ziel hat. Eine der Voraussetzungen des Ersatzanspruchs ist jedoch das Vorliegen eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen eine Norm, die dem Einzelnen Rechte verleiht. Daher ist im Rahmen einer Haftungsklage, die den Ersatz eines Schadens zum Ziel hat, der durch die Art und Weise entstanden sein soll, in der der Bürgerbeauftragte eine Beschwerde behandelt hat, die Rechtmäßigkeit des Verhaltens des Bürgerbeauftragten zu prüfen, um festzustellen, ob die Klage begründet ist.
Schließlich hebt der Gerichtshof hervor, dass der Bürgerbeauftragte keinesfalls für das Verhalten der Kommission haftbar gemacht werden kann. Herr Lamberts hat jedoch in seiner vor dem Gericht erhobenen Klage geltend gemacht, dass er einen Schaden erlitten habe, der durch Fehler und Versäumnisse durch den Bürgerbeauftragten entstanden sei. Seine Klage hat daher nicht den Ersatz eines Schadens zum Ziel, der durch ein schädigendes Verhalten der Kommission entstanden ist.
Das Gericht hat daher keinen Rechtsfehler begangen, als es die von Herrn Lamberts erhobene Klage für zulässig erklärt hat.


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