Abteilung Presse und Information


PRESSEMITTEILUNG N° 25/04

25. März 2004

Urteil des Gerichtshofes in den Rechtssachen C-231/00 u. a.

Cooperativa Lattepiù u. a./AIMA und Ministero delle Politiche Agricole e Forestali

EIN MITGLIEDSTAAT DARF DIE EINZELBETRIEBLICHEN REFERENZMENGEN NACH ABLAUF DER ZAHLUNGSFRIST FÜR DAS MILCHWIRTSCHAFTSJAHR BERICHTIGEN UND DIE GESCHULDETEN ZUSATZABGABEN NEU BERECHNEN

Damit das Ziel der Rationalisierung der Milcherzeugung erreicht wird, müssen die Erzeuger, die von den Vorteilen des Richtpreises profitieren, die Einschränkungen hinnehmen, durch die das System beibehalten werden kann




Die 1984 vom Rat im Milchsektor eingeführte Zusatzabgabenregelung wurde in Italien mit einem Gesetz von 1992 durchgeführt, auf das eine umfangreiche Regelung folgte. Nach zwei Urteilen des italienischen Verfassungsgerichtshofes, mit denen bestimmte Vorschriften dieser Regelung für ungültig erklärt worden waren, und weil das System insgesamt keine Erhebung zuverlässiger Daten ermöglicht hatte, setzte der italienische Gesetzgeber eine staatliche Untersuchungskommission ein, deren Aufgabe es war, etwaige Unregelmäßigkeiten bei der Verwaltung der Referenzmengen festzustellen. Auf dieser Grundlage hatte die Staatliche Einrichtung für Agrarmarktinterventionen (AIMA) die in den beiden Wirtschaftsjahren 1995/96 und 1996/97 tatsächlich erzeugten und abgesetzten Mengen festzustellen, den Erzeugern die Änderungen der einzelbetrieblichen Referenzmengen mitzuteilen und die von den einzelnen Erzeugern geschuldete Zusatzabgabe zu berechnen.
Verschiedene italienische Milcherzeuger wandten sich gegen die von der AIMA im Jahr 1999 getroffenen Entscheidungen über die Referenzmengen und die für die beiden Wirtschaftsjahre 1995/96 und 1996/97 geschuldeten Abgaben.

Das Tribunale Amministrativo Regionale del Lazio hat sich daraufhin an den Gerichtshof gewandt, um prüfen zu lassen, inwieweit ein Mitgliedstaat berechtigt ist, im Anschluss an Kontrollen die den einzelnen Erzeugern zugeteilten einzelbetrieblichen Referenzmengen zu berichtigen und dementsprechend die geschuldeten Zusatzabgaben nach Ablauf der Frist für deren Zahlung neu zu berechnen.

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass die Verordnung über die Zusatzabgabe und die Verordnung mit Durchführungsbestimmungen zu dieser Regelung weder die nachträgliche Berichtigung der einzelbetrieblichen Referenzmengen noch die Berichtigung der von den Erzeugern geschuldeten Zusatzabgaben vorsehen.

Soweit es keine gemeinsamen Durchführungsvorschriften auf Gemeinschaftsebene gibt, ist es jedoch Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet für die Durchführung der Gemeinschaftsregelungen zu sorgen, und zwar nach den Bestimmungen ihres nationalen Rechts, wobei sie aber die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere die der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, zu beachten haben.

Sind die italienischen Maßnahmen zur nachträglichen Berichtigung von Referenzmengen und Zusatzabgaben mit der Gemeinschaftsregelung vereinbar?

Der Gerichtshof stellt zunächst aufgrund einer Analyse von Wortlaut und Zweck der einschlägigen Vorschriften fest, dass diese den fraglichen Maßnahmen nicht entgegenstehen. Er weist insoweit darauf hin,

dass keine Bestimmung der Gemeinschaftsregelung es den nationalen Behörden ausdrücklich untersagt, derartige Maßnahmen zu treffen;
dass die Gemeinschaftsregelung nicht bezweckt hat, die Referenzmengen für die gesamte Dauer der Verlängerung der Zusatzabgabenregelung endgültig festzulegen;
dass solche Berichtigungen darauf abzielen, dass die von der Zusatzabgabe befreite Produktion eines Mitgliedstaats die ihm zugeteilte Gesamtgarantiemenge nicht überschreitet, und das wirksame Funktionieren der Regelung gewährleisten sollen;
dass die Verordnung mit den Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe vorsieht, dass die Mitgliedstaaten über angemessene Kontrollmittel verfügen müssen, um prüfen zu können, ob die Abgabe vorschriftsgemäß erhoben worden ist, was impliziert, dass diese Kontrollmittel möglicherweise zu einer Berichtigung der Referenzmengen und zu einer Neuberechnung der Abgabe führen.

Außerdem weist der Gerichtshof darauf hin, dass diese Auslegung der Gemeinschaftsvorschriften auch in Einklang steht mit den Hauptzielen der Zusatzabgabenregelung, die darin bestehen, die Milcherzeugung zu rationalisieren, um das Einkommen der landwirtschaftlichen Bevölkerung zu stabilisieren und für sie eine angemessene Lebenshaltung aufrechtzuerhalten. Diese Ziele wären nämlich gefährdet, wenn infolge einer unzutreffenden Feststellung der Referenzmengen die Milchproduktion in einem Mitgliedstaat die diesem zugeteilte Gesamtgarantiemenge überschreiten würde. Mit anderen Worten, die Solidarität, auf der die Zusatzabgabenregelung beruht, wäre gestört, wenn die Erzeuger von den Vorteilen des Richtpreises für Milch profitieren könnten, ohne insoweit die Einschränkungen hinnehmen zu müssen, durch die dieser Preis beibehalten werden kann.

Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass die italienischen Maßnahmen, mit denen die Referenzmengen und die Zusatzabgaben nachträglich berichtigt werden, geeignet sind, das angestrebte Ziel zu erreichen, ohne dass sie unverhältnismäßig sind.

Die Zusatzabgabe stellt nämlich ein markt- oder strukturpolitisches Instrument dar und ist keine Sanktion. Außerdem stellt der Gerichtshof in Anbetracht der zahlreichen und schweren Fehler, die die ursprünglich zugeteilten Referenzmengen enthielten, fest, dass diese Maßnahmen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung ihres Zieles erforderlich ist.

Schließlich können die Erzeuger kein berechtigtes Vertrauen in die Beibehaltung einer falschen Referenzmenge geltend machen: Auch wenn die Klägerinnen erst 1999 Kenntnis von der ihnen zugeteilten Referenzmenge erlangen konnten, entsprach diese Menge doch für jeden Erzeuger derjenigen Milchmenge, die er im Referenzjahr vermarktet hatte; außerdem kann es kein berechtigtes Vertrauen in den Fortbestand einer offenkundig gemeinschaftsrechtswidrigen Lage geben, und die Milcherzeuger der Mitgliedstaaten können elf Jahre nach der Einführung dieser Regelung nicht erwarten, dass sie weiter unbeschränkt Milch produzieren können.




Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

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Den vollständigen Wortlaut des Urteils finden Sie heute ab ca. 12.00 Uhr MEZ auf unserer Homepage (www.curia.eu.int ).

Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Isabelle Phalippou,
Tel: (00352) 4303 3255, Fax: (00352) 4303 2734.
 


Verordnung Nr. 3950/92 des Rates
Verordnung Nr. 563/93 der Kommission