Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG N° 32/04

29. April 2004

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C418/01

IMS Health GmbH & Co. OHG / NDC Health GmbH & Co. KG

DIE WEIGERUNG EINES UNTERNEHMENS IN BEHERRSCHENDER STELLUNG, EINE LIZENZ ZUR VERWENDUNG EINES DURCH EIN RECHT DES GEISTIGEN EIGENTUMS GESCHÜTZTEN GEGENSTANDS ZU ERTEILEN, STELLT NUR UNTER BESTIMMTEN BEDINGUNGEN DEN MISSBRAUCH EINER BEHERRSCHENDEN STELLUNG DAR

Die Weigerung ist nur dann missbräuchlich, wenn sie das Erscheinen neuer Erzeugnisse oder Dienstleistungen verhindert, nach denen eine potenzielle Nachfrage besteht, nicht sachlich gerechtfertigt ist und geeignet ist, jeglichen Wettbewerb auf dem betreffenden Markt auszuschließen.



IMS Health (im Folgenden: IMS) und NDC Health (im Folgenden: NDC) befassen sich mit der Erstellung und dem Vertrieb von Marktberichten über den Absatz von Arzneimitteln und Gesundheitserzeugnissen. Die IMS erstellt für Pharmaunternehmen Berichte über den regionalen Absatz von Arzneimitteln in Deutschland, die nach einer Struktur mit 1 860 oder 2 847 Bausteinen formatiert sind, die jeweils einem bestimmten, geografisch definierten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland entsprechen. Entwicklung und Verbesserung dieser Strukturen sind Gegenstand eines Arbeitskreises, an dem die IMS und ihre Kunden teilnehmen. Dem nationalen Gericht zufolge hat die IMS ihre Bausteinstrukturen nicht nur verkauft, sondern auch unentgeltlich an Apotheken und Arztpraxen verteilt. Diese Praxis hat dazu beigetragen, dass die betreffenden Strukturen zu einem gebräuchlichen Standard geworden sind, an den die Kunden ihre EDV- und Vertriebsstrukturen angepasst haben.

Ein Geschäftsführer schied 1998 bei der IMS aus und gründete die Pharma Intranet Information AG (im Folgenden: PII), um seinerseits Marktberichte über den regionalen Absatz von Arzneimitteln in Deutschland zu vertreiben, die auf der Grundlage einer anderen Struktur mit 2 201 Bausteinen angeboten wurden. Nachdem die PII erfolglos versucht hatte, mit dieser Struktur angebotene Marktberichte zu vertreiben, ging sie dazu über, Strukturen mit 1 860 oder 3 000 Bausteinen zu verwenden, die den von der IMS verwendeten Strukturen sehr ähnlich waren. Die PII wurde von der NDC gekauft.

Auf Antrag der IMS untersagte das Landgericht Frankfurt am Main der PII (und nach ihrem Erwerb der NDC), irgendeine Struktur zu verwenden, die von der der IMS abgeleitet ist, da die von der IMS verwendete Struktur ein dem Urheberrechtsschutz zugängliches Datenbankwerk sei.

Das Landgericht Frankfurt am Main ist der Ansicht, die IMS dürfe sich nicht weigern, der NDC eine Lizenz zu erteilen, wenn diese Weigerung nach dem Gemeinschaftsrecht als Missbrauch einer beherrschenden Stellung anzusehen sei. Es hat daher dem Gerichtshof Fragen über die Bedingungen vorgelegt, unter denen ein solches Verhalten den Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellt.

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, zu beurteilen, ob ein Produkt oder eine Dienstleistung unerlässlich für ein Unternehmen ist, das auf dem betreffenden Markt tätig werden will. In diesem Zusammenhang muss das nationale Gericht untersuchen, ob es Produkte oder Dienstleistungen gibt, die Alternativlösungen darstellen. Im vorliegenden Fall kann das nationale Gericht berücksichtigen, dass die intensive Einbeziehung der Pharmaunternehmen in die Entwicklung der Bausteinstruktur eine Abhängigkeit technischer Art der Nutzer von dieser Struktur schaffen konnte. Daher wäre es für die betreffenden Pharmaunternehmen wahrscheinlich mit enormem technischen und wirtschaftlichen Aufwand verbunden, auf den Erwerb von Marktberichten umzustellen, die auf einer Alternativstruktur beruhen.

Anschließend weist der Gerichtshof darauf hin, dass das ausschließliche Recht der Vervielfältigung zu den Vorrechten des Inhabers eines Immaterialgüterrechts gehört, so dass die Verweigerung einer Lizenz als solche keinen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellen kann. Die Ausübung des ausschließlichen Rechts kann jedoch unter außergewöhnlichen Umständen als missbräuchliches Verhalten anzusehen sein. Ein Unternehmen, das über ein Recht des geistigen Eigentums verfügt und den Zugang zu Erzeugnissen oder Dienstleistungen verweigert, die für eine bestimmte Tätigkeit unerlässlich sind, handelt missbräuchlich, wenn drei Bedingungen erfüllt sind:

Das Unternehmen, das um die Lizenz ersucht hat, beabsichtigt, neue Erzeugnisse oder Dienstleistungen anzubieten, die der Inhaber des betreffenden Rechts nicht anbietet und für die eine potenzielle Nachfrage der Verbraucher besteht;

die Weigerung ist nicht aus sachlichen Gründen gerechtfertigt;

die Weigerung ist geeignet, dem Unternehmen, das über das Recht des geistigen Eigentums verfügt, den betreffenden Markt vorzubehalten, indem jeglicher Wettbewerb auf diesem Markt ausgeschlossen wird.

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Bedingungen im Ausgangsverfahren erfüllt sind.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument ist in folgenden Sprachen verfügbar: DE, EN, ES, FR, IT.

Den vollständigen Wortlaut des Urteils finden Sie heute ab ca. 12.00 Uhr MEZ auf unserer Homepage (www.curia.eu.int ).

Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Isabelle Phalippou,
Tel: (00352) 4303 3255,        Fax: (00352) 4303 2734.